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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung
Autoren: Philip Kerr
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vorstellen, dass das ihr Problem lösen wird. Nein, mein Rat an Ihre Freundin lautet, Deutschland zu verlassen.»
    «Sie machen Witze.»
    «Ich fürchte, leider nicht, Gunther. Demnächst werden neue Gesetze verabschiedet, die im Ergebnis sämtliche Juden in Deutschland denaturalisieren. Ich dürfte Ihnen das eigentlich nicht erzählen, aber es gibt viele alte Kämpfer, die vor 1930 in die Partei eingetreten sind und die glauben, dass noch längst nicht genug getan wurde, um die jüdische Frage zu lösen. Einige von uns - mich eingeschlossen - gehen davon aus, dass das Klima für Juden hier ziemlich rau werden könnte.»
    «Ich verstehe.»
    «Nein, ich glaube, nicht. Zumindest noch nicht. Aber Sie werden es verstehen. Ich versuche, Ihnen etwas zu erklären. Nach dem, was mein Boss erzählt hat, der Kriminalassessor Volk, ist eine Person nur dann als deutschstämmig anzusehen, wenn alle vier Großeltern von deutschem Blut waren. Eine Person gilt offiziell als jüdisch, wenn mindestens drei Großeltern jüdisch waren.»
    «Und wenn nur ein Großelternteil jüdisch war?», wollte ich wissen.
    «Dann gilt die betreffende Person als Mischblut, infolge Rassenkreuzung.»
    «Und worauf läuft das alles hinaus, Schuchardt? In praktischer Hinsicht?»
    «Juden wird die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Ihnen wird verboten, sich mit reinrassigen Deutschen zu verheiraten oder mit reinrassigen Deutschen sexuelle Beziehungen einzugehen. Jegliche Beschäftigung im öffentlichen Dienst ist verboten, und Besitz kann nur in bestimmten Grenzen erworben oder behalten werden. Mischlinge müssen sich an den Führer selbst wenden, um ihre Arisierung oder Neueinstufung zu ersuchen.»
    «Jesses.»
    Otto Schuchardt lächelte. «Ich bezweifle stark, dass Jesus eine Chance auf Neueinstufung hätte. Es sei denn, er könnte nachweisen, dass sein himmlischer Vater Deutscher ist.»
    Ich sog den Rauch meiner Zigarette in die Lungen, als wäre es Muttermilch, dann drückte ich den Stummel in einem winzigen Aschenbecher aus. Sicher gibt es ein zusammengesetztes Wort, das genau beschreibt, wie ich mich fühlte. Ich kam nur nicht darauf. Doch ich war ziemlich sicher, dass darin die Wortelemente «Entsetzen» und «Sprachlosigkeit» und «Tritt in den Magen» vorkamen. Und Schuchardt war noch nicht fertig.
    «Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen», sagte ich.
    Wieder erschien auf seinem Gesicht ein Ausdruck von gequälter Belustigung. «Nein, wissen Sie nicht», erwiderte er. «Aber ich denke, Sie werden es bald begreifen.»
    Er öffnete seine Schreibtischschublade und nahm eine dicke beigefarbene Akte hervor. Auf der oberen linken Ecke des Aktendeckels klebte ein weißes Schild mit dem Namen des Subjekts, um das es in der Akte ging. Der Name auf dem Aufkleber war meiner.
    «Das hier ist Ihre Personalakte aus der Zeit bei der Polizei. Jeder Beamte hat so eine Akte. Und alle Expolizisten, wie Sie.» Schuchardt klappte die Akte auf und entnahm die erste Seite. «Das Inhaltsverzeichnis. Jedem Gegenstand, jedem hinzugefügten Eintrag wird eine Nummer auf dieser Seite hier zugewiesen. Wollen mal sehen. Ah, hier ist es. Ja. Nummer dreiundzwanzig.» Er blätterte die Seiten um, bis er gefunden hatte, wonach er suchte - ein weiteres Blatt Papier. Er nahm es hervor und reichte es mir.
    Ein anonymer Brief, der daraufhinwies, dass ich einen jüdischen Großelternteil gehabt hatte. Die Handschrift kam mir vage vertraut vor, doch ich fühlte mich nicht imstande, vor Otto Schuchardt über die Identität des Schreibers nachzudenken. «Es erscheint mir wenig sinnvoll, diese Tatsache abzustreiten», räumte ich ein und gab ihm das Blatt zurück.
    «Ganz im Gegenteil», sagte er. «Es wäre das Sinnvollste, diesen Umstand schlichtweg abzustreiten.» Er entzündete ein Streichholz, hielt das Feuer an den Brief und ließ ihn brennend in den Papierkorb fallen. «Wie ich vorhin sagte, ich vergesse meine Freunde nicht.» Dann nahm er seinen Füllfederhalter hervor und schrieb etwas unter der Rubrik Bemerkungen. «Keine weiteren Maßnahmen erforderlich», sagte er, während er schrieb. «Trotzdem wäre es vielleicht besser, wenn Sie versuchen, das in Ordnung zu bringen.»
    «Es erscheint mir jetzt ein wenig zu spät dafür», antwortete ich. «Meine Großmutter ist seit zwanzig Jahren tot.»
    «Als Mischling zweiten Grades werden Sie möglicherweise feststellen», sagte er, ohne auf meinen Witz einzugehen, «dass in Zukunft gewisse Einschränkungen für Sie gelten.
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