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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung
Autoren: Philip Kerr
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Blicken aus vorbeifahrenden Fahrzeugen ab. Nicht, dass viel Reklame auf der Säule geklebt hätte - neuerdings bestand Werbung nur aus irgendwelchen Schildern, die einem Juden sagten, wohin er nicht treten durfte.
    «Nein, ich habe Sie nicht gehört», antwortete ich.
    «Der Mann vorhin, der in diesem Ton über den Führer gesprochen hat. Sie müssen ihn gehört haben. Sie haben direkt neben ihm gestanden.»
    «Ich kann mich nicht erinnern, dass er irgendetwas über den Führer gesagt hätte», antwortete ich. «Ich habe der Musik der Marschkapelle gelauscht.»
    «Und warum sind Sie dann plötzlich weggegangen?»
    «Weil mir plötzlich wieder eingefallen ist, dass ich eine Verabredung habe.»
    Die Miene des Polizisten verdunkelte sich. Kein freundliches Gesicht. Er hatte tiefliegende Augen, einen schmallippigen, arroganten Mund und ein ziemlich spitzes Kinn. Es war ein Gesicht, das den Tod nicht zu fürchten brauchte, weil es schon lebendig aussah wie ein Totenschädel. Hätte Goebbels einen älteren und noch fanatischeren Nazibruder gehabt, er hätte vielleicht ausgesehen wie der Kerl vor mir.
    «Ich glaube Ihnen nicht», sagte er - und indem er ungeduldig mit den Fingern schnippte, fügte er hinzu: «Ihren Ausweis bitte.»
    Das «Bitte» mochte höflich klingen, doch ich wollte ihm meinen Ausweis trotzdem nur ungern zeigen. Der achte Abschnitt auf der zweiten Seite gab Auskunft über meinen erlernten und meinen ausgeübten Beruf, und weil ich nicht mehr Polizeibeamter war, sondern Hotelangestellter, hätte ich ihm auch gleich sagen können, dass ich die Nazis nicht mochte und nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Schlimmer noch - ein Mann, der aus der Berliner Kriminalpolizei entlassen worden war wegen seiner Loyalität gegenüber der alten Weimarer Republik, würde natürlich auch weghören, wenn sich jemand abfällig über den Führer äußerte. Auf der anderen Seite wusste ich auch, dass der Kerl mich möglicherweise verhaften würde, nur um mir den Tag zu verderben, und das konnte schnell mit zwei Wochen in einem Konzentrationslager enden.
    Er schnippte erneut mit den Fingern und wandte den Blick jetzt beinahe gelangweilt ab. «Kommen Sie schon, machen Sie voran - ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.»
    Ich biss mir auf die Unterlippe, wütend darüber, erneut herumgeschubst zu werden, nicht nur von diesem kadavergesichtigen Schmiermichel, sondern von dem ganzen verdammten Nazistaat. Ich war bereits gezwungen worden, meinen Beruf als Kriminalbeamter im gehobenen Dienst zu quittieren - einen Beruf, den ich geliebt hatte -, und man behandelte mich wie einen Paria, weil ich an der alten Republik festhielt. Das republikanische System hatte viele Schwächen gehabt, keine Frage, doch wenigstens war es ein demokratisches gewesen. Seit dem Zusammenbruch der Weimarer Republik war Berlin, meine Geburtsstadt, nicht mehr wiederzuerkennen. Früher der liberalste Ort der Welt, war die Stadt heute wie ein einziger Exerzierplatz. Diktaturen sehen immer nur so lange hübsch aus, bis jemand anfängt, einen herumzukommandieren.
    «Sind Sie taub, Mann? Zeigen Sie mir Ihren verdammten Ausweis!» Der Polizeibeamte schnippte erneut mit den Fingern.
    Langsam wurde ich wütend. Ich griff mit der linken Hand in meine Jackentasche, als wollte ich den Ausweis hervorholen, wobei ich mich gerade weit genug von ihm wegdrehte, damit er nicht sah, dass ich die Rechte zur Faust ballte. Und als ich diese Faust in seinem Unterleib versenkte, gab ich mein gesamtes Körpergewicht in diesen Schlag.
    Treffer. Es raubte ihm die Luft, und er kippte mir vornüber in die Arme. Wenn so ein Schlag ins Schwarze trifft, dann bleibt der Typ eine ganze Weile außer Gefecht. Ich hielt den bewusstlosen Kerl für einen Moment, dann bugsierte ich ihn vor mir her durch die Drehtür des Hotels Deutscher Kaiser. Meine Wut war unterdessen der schieren Panik gewichen.
    «Ich glaube, dieser Mann hat einen Anfall erlitten oder so was», sagte ich zu dem stirnrunzelnden Türsteher und ließ den Schmiermichel in einen Ledersessel gleiten. «Wo sind die Telefone? Ich rufe gleich einen Krankenwagen.»
    Der Portier deutete in Richtung eines Korridors um die Ecke hinter dem Empfangsschalter.
    Ich lockerte dem Bewusstlosen demonstrativ die Krawatte und tat, als ginge ich zu den Telefonzellen, doch sobald ich um die Ecke war, schlüpfte ich durch eine Personaltür, eilte eine Treppe hinunter und verließ schließlich das Hotel durch die Küche. Ich kam in einer Seitengasse
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