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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende
Autoren: Philipp Vandenberg
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auf, dass jede Zeile des Buches fünfzig Buchstaben enthielt und jede Seite dreißig Zeilen. Das machte sechzehnhundert Buchstaben pro Seite. Das Mendelsche Werk hatte zweihundertvierzig Seiten. Also fast vierhunderttausend Buchstaben. Malberg vergrub sein Gesicht in den Händen.
    Mutlos, ja verzweifelt begann er schließlich mit seiner Arbeit. Das ging so umständlich, wie er erwartet, aber doch schneller, als er befürchtet hatte.
    Es dauerte keine fünfzehn Minuten, und unter dem apokryphen Satz standen die Worte, mit denen das Mendelsche Buch begann:

    Wenn die tausend Jahre vollendet sind …

    Wenn die tausend Jahre vollendet sind? Der Text kam ihm bekannt vor. Fieberhaft, wie besessen fügte Malberg die folgenden Buchstaben in das codierte System.
    Kurze Zeit später hatte er den ganzen Satz entschlüsselt:

    Wenn die tausend Jahre vollendet sind,
    wird der Satan losgelassen werden aus dem Kerker.

    Malberg sprang auf. Er hatte sich nicht getäuscht. Das war der Satz aus der Apokalypse, Kapitel 20, Vers 7.
    Für Augenblicke stand Malberg wie zur Salzsäule erstarrt. Verzweifelt versuchte er in seinem Gehirn einen Zusammenhang herzustellen zwischen Mendels einleitendem Satz und dem Codewort der Bruderschaft. Obwohl es in dem alten Gemäuer eiskalt war, drang ihm der Schweiß aus all seinen Poren.
    Plötzlich vernahm er ein Geräusch, als wäre in der Bibliothek ein Buch aus dem Regal gefallen. Malberg war viel zu sehr mit dem Mendelschen Buch beschäftigt, um dem Ereignis Beachtung zu schenken. Doch plötzlich tauchte wie aus dem Nichts eine Gestalt auf, ein Mann mit schütterem grauem Haar und stolzer Haltung. Unter dem linken Arm trug er einen Stapel Bücher und Akten. Er ging an Malberg vorbei und würdigte ihn keines Blickes. Als er schon in der Tür war, drehte er sich noch einmal um und wandte sich Malberg zu.
    »Murath«, sagte er trocken, »Professor Richard Murath. Sie haben sicher schon von mir gehört. Sind Sie der neue Kryptologe?«
    Malberg erhob sich und antwortete: »Andreas Walter. Was den Kryptologen betrifft, so würde ich mich nicht als solchen bezeichnen. Ich habe mich nur während meines Studiums der Bibliothekswissenschaften intensiv mit Gregor Mendels verschollenem Buch beschäftigt.«
    »Und Sie halten sich für qualifiziert genug, das Kauderwelsch seines Buches zu entschlüsseln?«, fragte Murath von oben herab.
    »Das muss sich noch herausstellen.«
    Der Professor musterte Malberg mit zusammengekniffenen Augen. »Sie können«, meinte er schließlich, »wenn Sie erfolgreich sind mit Ihrer Aufgabe und Mendel uns nicht an der Nase herumgeführt hat, ein bisschen unsterblich werden. Als Zuträger des Molekularbiologen Richard Murath.«
    »Das wäre mir ein Vergnügen«, erwiderte Malberg mit deutlicher Ironie in der Stimme.
    Murath ging nicht weiter darauf ein. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen«, fuhr er fort, »dass alle schwarzen Akten und Manuskripte, die das rote Runenkreuz tragen, für Sie tabu sind. Wie Sie gemerkt haben, gibt es auf Layenfels weder Schlüssel noch Schlösser, folglich auch keinen Tresor. Der Respekt vor dem anderen fordert absolute Diskretion. Von Ihnen erwarte ich äußerste Zurückhaltung. Ich verbiete Ihnen ausdrücklich, auch nur einen Blick in meine Forschungsergebnisse zu werfen. Wir verstehen uns.«
    Die Arroganz, mit der Murath ihm begegnete, widerte Malberg an, und er war froh, als dieser, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verschwand. Über das Mendelsche Buch gebeugt, nahm Malberg seine Arbeit wieder auf. Dabei ließ ihn der Gedanke nicht los, dass er diesen Murath schon irgendwann einmal gesehen hatte.

Kapitel 58
    Ein fernes Donnergrollen weckte Malberg am nächsten Morgen. Westlich des Rheins, über dem Soonwald braute sich ein mächtiges Herbstgewitter zusammen.
    Erst gegen vier Uhr morgens hatte er ins Bett gefunden. So sehr war er gefangen von dem geheimnisumwitterten Mendelschen Buch. Um in den Genuss eines Frühstücks zu kommen, wählte Malberg die Neun und äußerte seine Wünsche. Wenig später trat ein Alumne der Bruderschaft ein und stellte das Gewünschte vor ihm ab.
    Dabei raunte er Malberg zu: »Gruna und Doktor Dulazek erwarten Sie gegen zehn oben auf dem Burgfried!«
    Eine merkwürdige Art der Kommunikation, dachte Malberg. Immerhin wusste er jetzt, wie sich die Mitglieder der Bruderschaft untereinander verständigten, ohne Gefahr zu laufen, dass sie abgehört wurden.
    Er blickte auf die Uhr. Noch zehn Minuten Zeit zum
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