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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Autoren: Isabel Allende
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wach wurde und sich wie ein Floh fühlte. Sein Vater war für Streicheleinheiten nicht zu haben. Sie gingen zusammen Bergsteigen, aber sie redeten wenig miteinander; außerdem hatte sich John Cold verändert, wie alle in der Familie. Seine frühere Gelassenheit war dahin, er wurde oft zornig, nicht nur auf seine Kinder, sondern auch auf seine Frau. Manchmal schrie er Lisa an und warf ihr vor, dass sie zu wenig aß oder ihre Medikamente nicht nahm, aber dann tat es ihm gleich darauf leid, und er entschuldigte sich beklommen für seinen Ausbruch. Bei diesen Szenen war Alex ganz elend zumute: Er konnte es nicht ertragen, seine Mutter so schwach zu sehen und seinen Vater mit Tränen in den Augen.
    Als er an diesem Mittag zu Hause ankam, fragte er sich, warum der Kleinbus in der Einfahrt stand, denn um diese Uhrzeit arbeitete sein Vater eigentlich im Krankenhaus. Durch die Küchentür, die nie abgeschlossen war, trat Alex ins Haus und wollte bloß rasch etwas essen, sich die Flöte schnappen und zur Schule zurückhetzen. Er schaute sich um und erblickte nur die fossilen Reste der Pizza vom Vorabend. Egal, solange er im Takt blieb, würde sein Magenknurren während der Orchesterprobe nicht weiter auffallen, dachte er, ging zum Kühlschrank und wollte ein Glas Milch trinken. Da hörte er das Wimmern. Nicoles Kätzchen fielen ihm ein, aber die waren in der Garage, und das Geräusch kam eindeutig aus dem Schlafzimmer seiner Eltern. Er wollte eigentlich gar nicht herumspionieren, näherte sich eher wie unter einem Zwang der angelehnten Schlafzimmertür und stieß sie sachte auf. Wie angewurzelt blieb er stehen.
    Auf einem Hocker mitten im Zimmer saß seine Mutter, barfuß und im Nachthemd, hatte das Gesicht in den Händen vergraben und weinte. Hinter ihr stand sein Vater und umklammerte einaltes Rasiermesser, das dem Großvater gehört hatte. Lange schwarze Haarsträhnen bedeckten den Boden und die schmal gewordenen Schultern seiner Mutter, und im bleichen Tageslicht, das durchs Fenster fiel, schimmerte ihr rasierter Schädel wie Marmor.
    Für einige Sekunden war Alex wie gelähmt vor Entsetzen, konnte nicht begreifen, was sich vor seinen Augen abspielte, verstand überhaupt nicht, was das Haar auf dem Boden bedeutete, der rasierte Kopf oder dieses Messer in der Hand seines Vaters, das nur Millimeter neben dem gebeugten Nacken seiner Mutter aufblitzte. Als er wieder zu sich kam, brach ein fürchterlicher Schrei aus ihm heraus, und eine Welle des Irrsinns durchbrandete ihn. Er stürzte sich auf seinen Vater und stieß ihn nieder. Das Messer flog in hohem Bogen durch die Luft, streifte seine Stirn und bohrte sich in den Fußboden. Blind schlug er um sich, ohne darauf zu achten, wohin seine Hiebe trafen, während seine Mutter beschwörend auf ihn einredete: »Ist ja gut, mein Junge, beruhige dich, es ist alles in Ordnung.« Sie versuchte, ihn so gut sie konnte von seinem Vater wegzuziehen, der zum Schutz die Arme vors Gesicht geschlagen hatte.
    Endlich drang die Stimme seiner Mutter in sein Bewusstsein, seine Wut verpuffte, und plötzlich war er nur noch verzweifelt. Was hatte er bloß getan! Die Arme von sich gestreckt, wich er zurück; dann rannte er über den Flur und verbarrikadierte sich in seinem Zimmer. Er zerrte den Schreibtisch von innen gegen die Tür und hielt sich die Ohren zu, um seine Eltern nicht zu hören, die nach ihm riefen. Lange stand er mit geschlossenen Augen gegen die Wand gelehnt und kämpfte mit dem Gefühlswirrwarr in seinem Innern. Dann sah er sich um und begann, sein ganzes Zimmer systematisch in Trümmer zu legen. Er nahm die Poster von den Wänden und riss sie in kleine Fetzen; mit seinem Baseballschläger zermalmte er die Bilderrahmen auf der Kommode, die Videokassetten, seine Sammlung von Oldtimermodellen und Flugzeugen aus dem Ersten Weltkrieg; er riss die Seiten aus seinen Büchern; er nahm sein Schweizer Messer und schlitzte die Matratze und die Kopfkissen auf; er zerschnitt seine Jeans, seine T-Shirts und die Bettdecken mit der Schere, und endlich zog er den Stecker aus der Nachttischlampe, stellte sie auf den Boden und trat so oft darauf,bis sie in Scherben lag. Er ließ sich Zeit für die Zerstörung, ging planvoll vor, ohne allzu viel Lärm zu machen, wie jemand, der eine wichtige Aufgabe gewissenhaft erledigt, und hörte erst auf, als er nichts mehr fand, was er noch hätte kaputtmachen können. Der Fußboden war mit Bettfedern und mit der Füllung aus der Matratze übersät, mit
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