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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Autoren: Isabel Allende
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musst du aussteigen«, sagte der Fahrer.
    »Ich kann doch nichts dafür, wenn ich beklaut werde!« Jetzt wurde sie so laut, dass Alex schon fürchtete, die anderen Fahrgäste könnten es mitkriegen.
    »Ich auch nicht. Geh zur Polizei.« Der Fahrer verzog keine Miene.
    Morgana öffnete ihre große Stofftasche und kippte den gesamten Inhalt vor dem Fahrer auf den Boden: Klamotten, Wimperntusche, eine Packung Chips, einen Haufen Döschen und Tüten in verschiedenen Größen und ein Paar hochhackige Schuhe, die jemand anderem gehören mussten, denn Morgana konnte man sich beim besten Willen nicht darin vorstellen. Sie untersuchte jedes einzelne Kleidungsstück, als hätte sie alle Zeit der Welt, drehte jedes Blüschen auf links, schraubte sämtliche Döschen auf und sah in jede Tüte, wedelte vor aller Augen mit ihren Unterhosen herum. Alex wurde das immer peinlicher, und er schaute weg. Hoffentlich dachte keiner, dass er mit der irgendetwas zu tun hatte.
    »Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit, Kleine. Du musst aussteigen«, sagte der Fahrer, und diesmal klang es bedrohlich.
    Morgana scherte sich nicht um ihn. Mittlerweile hatte sie die Neonjacke ausgezogen und untersuchte das Futter, während die anderen Fahrgäste im Bus schon murrten, wann es denn jetzt endlich losginge.
    »Leih mir was!« Sie zupfte Alex am Ärmel.
    Er spürte, wie seine Ohren mit einem Schlag auftauten, und konnte sich denken, dass sie rot anliefen, denn das passierte ihm in entscheidenden Momenten immer. Diese Ohren waren eine Strafe: Jedes Mal verrieten sie ihn, vor allem wenn er Cecilia Burns begegnete, in die er schon seit dem Kindergarten verliebt war. Nur war das ziemlich aussichtslos. Was sollte sie auch ausgerechnet an ihm finden? Sicher, er war ein ganz passabler Schwimmer, aber sie hatte die freie Auswahl unter den besten Sportlern der Schule. An ihm war nichts Besonderes, richtig gut war er bloß beim Klettern und Flötespielen, aber kein Mädchen, das noch alle Tassen im Schrank hatte, interessierte sich für Berge oder Querflöten. Er war wohl dazu verdammt, sie bis ans Ende seiner Tage aus der Ferne anzuhimmeln, außer es passierte ein Wunder.
    »Leih mir Geld für die Fahrkarte«, sagte Morgana noch einmal.
    Normalerweise kümmerte es Alex nicht, wenn ihm sein Geld durch die Finger rann, aber das war ein ungünstiger Zeitpunkt zum Großzügigsein. Andererseits, überlegte er, durfte ein Mann eine Frau in einer solchen Situation nicht im Stich lassen. Sein Kleingeld reichte gerade noch, und er konnte ihr helfen, ohne die Reserve in seinen Stiefeln anzubrechen. Er bezahlte die zweite Fahrkarte. Morgana warf ihm neckisch eine Kusshand zu, streckte dem Fahrer, der sie erbost ansah, die Zunge heraus, klaubte eilig ihre Sachen zusammen und folgte Alex in die letzte Reihe des Busses, wo sie sich nebeneinander setzten.
    »Ohne dich wäre ich verratzt gewesen. Sobald ich kann, kriegst du die Kohle wieder.«
    Alex antwortete nicht. Irgendwo hatte er einmal gelesen: Leih dein Geld jemandem, den du nicht wiedersiehst, und es ist sinnvoll ausgegeben. Morgana faszinierte ihn, und gleichzeitig war sie ihm unheimlich, sie hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Mädchen an seiner Schule, noch nicht einmal mit denen, die sich wirklich was trauten. Um sie nicht dauernd mit offenem Mund anzuglotzen wie ein Schwachsinniger, starrte er während der langen Fahrt fast die ganze Zeit schweigend auf das nachtschwarze Fenster, in dem sich Morgana spiegelte und auch sein eigenes schmales Gesicht mit der runden Brille und dem Haar, das so schwarz warwie das seiner Mutter. Wann würde er sich endlich rasieren können? Ein paar seiner Freunde hatten schon richtigen Bartwuchs; an seinem eigenem Kinn zeigte sich nicht einmal Flaum, und gewachsen war er auch schon ewig nicht mehr, er war noch immer einer der Kleinsten in seiner Klasse. Sogar Cecilia Burns war größer als er. Sein einziger Trumpf war, dass er im Gegensatz zu einigen anderen an seiner Schule gute Haut hatte, weil sein Vater ihn behandelte, sobald sich der winzigste Pickel zeigte. Seine Mutter versuchte, ihm seine Sorgen auszureden, manche seien eben Spätzünder, und alle Männer der Familie Cold seien groß; aber in Bio hatte er aufgepasst und wusste, mit der Vererbung war das so eine Sache, und deshalb konnte er ebenso gut nach der Familie seiner Mutter schlagen. Lisa Cold war selbst für eine Frau klein; wer sie von hinten sah, konnte sie für eine Vierzehnjährige halten, vor allem, seit
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