Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
an ihm vorbeidrängelte und schob. Sie sahen alle aus wie ferngesteuert, jeder Zweite presste sich ein Handy ans Ohr und redete irgendwie geistesgestört vor sich hin. Er war allein mit seinem Rucksack auf dem Rücken und einem zerknitterten Geldschein in der Hand. Er besaß noch drei weitere, die zusammengefaltet in seinen Stiefeln steckten. Sein Vater hatte ihm geraten, vorsichtig zu sein, denn in dieser Riesenstadt liefen die Dinge anders als in ihrem kleinen Ort an der kalifornischen Küste, wo nie irgendetwas passierte. Er und seine Schwestern hatten immer mit ihren Freunden auf der Straße gespielt, kannten jeden und gingen bei den Nachbarn ein und aus wie bei sich zu Hause.
    Alex war sechs Stunden unterwegs gewesen vom einen Ende des Kontinents zum andern, eingezwängt neben einem schwitzenden Fettwanst, dessen Speckpolster über den Sitz quollen, so dass für ihn nur noch ein halber Platz übrig blieb. Andauernd hatte sich der Mann ächzend nach vorne gebeugt, die Hand in der Provianttüte versenkt und dann irgendwelche klebrigen Donuts in sich hineingestopft, weshalb Alex weder schlafen noch in Ruhe den Film sehen konnte. Hundemüde hatte er die Stunden gezählt, bis sie endlich gelandet waren und er sich die Beine vertreten konnte. Erleichtert verließ er das Flugzeug, und als er nach langem Gedränge und Geschiebe schließlich den Ausgang erreicht hatte, verrenkte er sich den Hals nach seiner Großmutter, konnte sie aber nirgends entdecken.
    Eine Stunde später war Kate Cold noch immer nicht aufgetaucht, und Alex wurde es langsam mulmig. Er hatte sie zweimal über Lautsprecher ausrufen lassen, ohne Erfolg, und jetzt würde er zum Telefonieren seinen Geldschein gegen Münzen wechseln müssen. Zum Glück hatte er ein gutes Gedächtnis: Die Nummerfiel ihm sofort ein, genau wie die Adresse, die er sich gemerkt hatte, obwohl er nie dort gewesen war, nur durch die Karten, die er ihr zu Weihnachten und zum Geburtstag geschrieben hatte. Das Telefon seiner Großmutter läutete ins Leere, während er all seine telepathischen Kräfte mobilisierte, damit sie endlich den Hörer abnahm. Was sollte er jetzt bloß machen? Vielleicht ein Ferngespräch mit seinem Vater führen und den fragen? Aber damit wäre er womöglich sein ganzes Kleingeld los. Außerdem wollte er sich nicht anstellen wie ein Weichei. Was könnte sein Vater denn aus der Entfernung schon tun? Nein, seine Großmutter verspätete sich eben ein bisschen, kein Grund, gleich den Kopf zu verlieren; vielleicht steckte sie im Stau, oder sie suchte ihn überall im Flughafen, und sie waren aneinander vorbeigelaufen, ohne sich zu sehen.
    Eine weitere halbe Stunde verging, und inzwischen war er so wütend auf Kate Cold, dass er sie bestimmt angeraunzt hätte, wenn sie sich nur hätte blicken lassen.
    Er dachte an die üblen Scherze, die sie sich jahrelang auf seine Kosten erlaubt hatte, etwa als sie ihm zum Geburtstag eine Schachtel Schokopralinen schickte, die mit höllenscharfer Soße gefüllt waren. Keine normale Großmutter machte sich die Mühe, mit einer Spritze die Füllung aus jeder einzelnen Praline zu ziehen, sie durch Tabasco zu ersetzen, die Dinger wieder fein säuberlich mit Silberpapier zu umwickeln und in die Schachtel zu packen, bloß um ihren Enkeln eins auszuwischen. Er dachte auch an die schauerlichen Geschichten, mit denen sie ihn und seine Schwestern in Angst und Schrecken versetzte, wenn sie zu Besuch war, und daran, dass sie darauf bestand, das Licht auszumachen, bevor sie mit dem Erzählen begann. Mittlerweile waren ihre Schilderungen nicht mehr so wirkungsvoll, aber als kleiner Junge hatte er sich fast zu Tode geängstigt. Nicole und Andrea wurden in ihren Albträumen noch immer von den Vampiren und den aus ihren Gräbern entflohenen Zombies verfolgt, die ihre garstige Großmutter im Finstern heraufbeschwor. Dennoch, es ließ sich nicht abstreiten, dass sie süchtig nach diesen haarsträubenden Geschichten waren. Stundenlang konnten sie auch den tatsächlichen oder erfundenen Gefahren lauschen, denen Kate Cold auf ihren Reisen rund um dieWelt ins Auge geblickt hatte. Am liebsten hörten sie die Geschichte von der acht Meter langen Pythonschlange, die in Malaysia den großmütterlichen Fotoapparat verschluckt hatte. »Zu schade, dass sie nicht dich verschluckt hat, Oma«, war Alex rausgerutscht, als er das zum ersten Mal hörte, aber Kate war nicht eingeschnappt gewesen. Diese Frau hatte ihm auch das Schwimmen beigebracht und dafür keine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher