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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
Autoren: Isabel Allende
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Wenig später stellte sein Vater fest, dass der Kleinbus einen Platten hatte, und Alex musste helfen, in aller Eile den Reifen zu wechseln, aber sie verloren dennoch kostbare Minuten, und er kam zu spät zur Schule. Wegen der überstürzten Abfahrt hatte er seine Mathehausaufgaben vergessen, was die Beziehung zu seinem Mathelehrer nicht gerade verbesserte. Aber Alex hielt ihn ohnehin für einen jämmerlichen Wicht, dem es nur darum ging, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Und dann hatte er auch noch seine Flöte zu Hause liegen lassen, und am Nachmittag probte das Schulorchester; er war der Solist und musste hin.
    »Manchmal ist man ein Floh; und dann wieder das Flohpulver; ich bin schon lange nicht mehr das Flohpulver gewesen.« Er ließ den Kopf hängen.
    ~
    Wegen der Flöte musste Alex also während der Mittagspause noch einmal nach Hause. Der Sturm war vorüber, aber die See war noch immer aufgewühlt, und die Wellen spritzten über die Klippen bis auf die Uferstraße, so dass er die Abkürzung über den Strand nicht nehmen konnte. Auf der langen Strecke nach Hause musste er rennen, weil er so wenig Zeit hatte.
    In den letzten Wochen, seit seine Mutter krank war, kam eine Frau zum Putzen, aber an diesem Tag hatte sie wegen des Sturms abgesagt. Alex hätte auch sonst gut auf sie verzichten können, man merkte ja doch, dass nichts mehr so war wie früher. Schon von außen sahen Haus und Grundstück ein bisschen heruntergekommen aus, fast als wären auch sie traurig.
    Alex spürte, dass seine Familie mehr und mehr auseinander brach. Seine Schwester Andrea, die schon immer ein bisschen anders gewesen war als andere Mädchen, lief nur nochverkleidet herum und verlor sich für Stunden in ihrer Phantasiewelt, wo Hexen in den Spiegeln lauerten und Außerirdische in der Suppe schwammen. Alex fand, dass sie für so etwas schon zu alt war, eigentlich hätte sie sich mit ihren zwölf Jahren für Jungs interessieren und sich reihenweise Ohrlöcher stechen lassen sollen. Dagegen klaubte sich Nicole, die Jüngste der Familie, nach und nach einen Zoo zusammen und versuchte so, die Aufmerksamkeit zu ersetzen, die ihre Mutter ihr nicht mehr geben konnte. Sie fütterte jede Menge Waschbären und Stinktiere durch, die um das Haus herumstrichen; sechs verwaiste Kätzchen hatte sie adoptiert und in der Garage versteckt; sie hatte einem hässlichen, flügellahmen Vogel das Leben gerettet und hielt eine Schlange von einem Meter Länge in einer Kiste. Hätte ihre Mutter die Schlange gefunden, sie wäre vor Schreck tot umgefallen, aber das war nicht sehr wahrscheinlich, denn wenn Lisa Cold nicht im Krankenhaus war, musste sie zu Hause im Bett liegen.
    Einmal abgesehen von den Pfannkuchen seines Vaters und den Sandwichs mit Thunfisch und Mayonnaise, die Andreas Spezialität waren, kochte von der Familie schon seit Monaten niemand mehr. Im Kühlschrank gab es bloß Orangensaft, Milch und Eiscreme; abends bestellten sie Pizza oder etwas vom Chinesen. Am Anfang war das beinahe wie ein Fest gewesen, weil jeder essen konnte, wann und was er wollte, vor allem Süßigkeiten, aber mittlerweile wünschten sich alle das gesunde, regelmäßige Essen von früher zurück. Zu Hause ohne seine Mutter war gar nicht richtig zu Hause. Sie fehlte ihm so! Dass man sie so leicht hatte zum Lachen bringen können, dass sie zärtlich gewesen war und manchmal auch streng, nicht so nachsichtig wie sein Vater und viel gewiefter: Völlig unmöglich, ihr etwas vorzumachen, ihrem sechsten Sinn entging einfach nichts. Jetzt hörte man sie keine italienischen Lieder mehr singen, es gab überhaupt keine Musik mehr und keine Blumen, und auch dieser vertraute Geruch nach frisch gebackenen Plätzchen und Ölfarbe war verschwunden. Früher hatte seine Mutter es so eingerichtet, dass sie morgens ein paar Stunden in ihrem Atelier arbeiten konnte, das Haus war trotzdem in Schuss gewesen, und nachmittags hatte sie ihre Kinder mit Gebäck erwartet; nun stand sie seit Wochen nur noch selten für kurze Zeit auf und schlichverstört durch die Zimmer, als würde sie ihre Umgebung nicht wiedererkennen, sie war abgemagert, und um ihre Augen lagen tiefe Schatten. Ihre Leinwände, auf denen sie die Farben früher nur so hatte explodieren lassen, ruhten vergessen auf den Staffeleien, und die Ölfarben vertrockneten in den Tuben. Und wie klein sie geworden war, fast wie ein stummes Gespenst.
    Jetzt hatte Alex niemanden mehr, der ihm den Rücken kraulte oder ihn aufmunterte, wenn er morgens
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