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Die Abenteuer des starken Wanja

Die Abenteuer des starken Wanja

Titel: Die Abenteuer des starken Wanja
Autoren: Otfried Preußler
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zum Holzschuppen, wo die Beile hingen. Das leichteste
wählte er aus, dann holte er in der Küche den Beutel mit seinem Essen ab.
    »Komm
gut wieder !« rief ihm das Tantchen nach. »Und sieh zu,
daß die Reiser hübsch lang und geschmeidig sind, nicht zu dünn und auch nicht
zu dick! Na, du weißt schon !«
    Es
war für die Jahreszeit ziemlich warm heute. Wanja bemühte sich, unterwegs nicht
in Schweiß zu geraten, was nicht ganz einfach war. Langsam setzte er Schritt
vor Schritt. Als er am Waldrand ankam, merkte er, daß er Hunger hatte.
    »Auch
gut, dann machen wir erst mal Mittag .«
    Die
Birken waren noch nicht belaubt. Er suchte sich zwischen den Stämmen ein
sonniges Plätzchen im Gras, schnürte den Beutel auf und verzehrte in aller
Ruhe, was Tante Akulina ihm eingepackt hatte: das Brot und den Speck, die Eier,
den Schafskäse und die beiden Pfannkuchen. Dazu trank er aus einer hölzernen
Flasche Kwaß.
    Als
er den letzten Bissen hinuntergespült hatte, mußte er gähnen. Vom Essen und
Trinken schläfrig geworden, beschloß er:
    »Ich
werde mich eine Stunde aufs Ohr legen. Wenn ich dann mit der Arbeit anfange,
ist es immer noch früh genug .«
     
    W anja
streckte sich auf den Rasen nieder und schloß die Augen. Die Sonne schien durch
das kahle Geäst herein, sie wärmte ihn angenehm.
    »So
läßt sich die Arbeit zur Not eine Weile aushalten«, dachte er. Schon halb
eingeschlafen, hörte er plötzlich ein sonderbares Geräusch, ein Klappern, das
aus der Tiefe des Waldes kam und sich langsam näherte. Jemand schlug da mit
einem Stecken gegen die Bäume, flüchtig, in kurzen, unregelmäßigen Abständen:
    Tok —
tok-tak-tok — tok — tak.
    Wanja
richtete sich ein wenig auf und rieb sich die Augen. Er sah einen
hochgewachsenen alten Mann durch den Wald auf sich zukommen, schlohweiß der
Bart und schlohweiß das lange, offene Haar. Wanja kannte ihn nicht. Der Alte
war weder aus seinem Dorf noch aus einem der Nachbardörfer. Er trug einen
Pilgermantel aus grauem Tuch und schlug im Dahinschreiten unablässig mit seinem
Wanderstab gegen die Bäume, denn — er war blind. Wanja sah das erst jetzt, als
er näher hinschaute.
    Der
Blinde, so schien es, strebte einem bestimmten Ziel zu. Und das Ziel, daran gab
es bald keinen Zweifel, war Wanja. Zwei Schritte vor ihm blieb der Alte stehen.
Er kreuzte die Arme, verneigte sich, sprach ihn freundlich an. Seine Stimme
klang tief und voll, es schwang etwas darin mit, das erinnerte Wanja an das Summen
eines Bienenschwarmes.
    »Du
bist Wanja, der Sohn des Bauern Wassili Grigorewitsch hier im Dorf? Ich habe
mit dir zu reden .«

    »Mit
mir ?« fragte Wanja erstaunt.
    Statt
zu antworten, setzte der Blinde sich neben ihn ins Gras.
    »Was
würdest du sagen«, begann er, »wenn jemand käme und dir eröffnete, daß du Zar
werden sollst ?«
    »Den
würde ich auslachen«, sagte Wanja.
    »Und
doch wartet in einem fernen Land eine Zarenkrone auf dich«, fuhr der Alte fort.
    »Auf
mich?« Wanja mußte nun wirklich lachen. »Du scheinst nicht zu wissen,
Väterchen, daß ich der faule Wanja bin. Ich — und Zar
werden !«
    »Lach
du nur !« sagte der Blinde geduldig. »Wenn du zu Ende
gelacht hast, kannst du dir ja mal anhören, was du tun mußt .«
    »Nämlich?«
    »Um
Zar zu werden, brauchst du zunächst eine Zeitlang nichts weiter zu tun — als zu
faulenzen .«
    »Faulenzen?«
    Wanja
glaubte nicht recht zu hören.
    »Ja,
auf dem Backofen liegen und faulenzen — um für die schweren und großen Aufgaben,
die dir bevorstehen, Kraft zu sammeln. Geh jetzt heim und besorge dir sieben
Säcke voll Sonnenblumenkerne und sieben Schafspelze !«
    »Was
soll ich damit ?«
    »Du
steigst damit auf den Backofen«, sagte der Blinde, »und bleibst dort liegen,
bis deine Stunde gekommen ist. Du darfst aber, merk dir das, während der ganzen
Zeit nicht vom Ofen heruntersteigen, mit niemand reden und nichts anderes essen
als Sonnenblumenkerne, davon freilich soviel du magst .«
    Wanja
schob die Mütze vom linken Ohr auf das rechte und überlegte. Es gab auf Wassili
Grigorewitschs Hof zwei Backöfen: einen kleineren hinter dem Haus, der dem
Tantchen zum Brotbacken während des Sommers diente, und einen zweiten,
bedeutend größeren, in der Wohnstube. Dieser zweite, er füllte die ganze hintere
Ecke des Raumes aus, war ein mannshoher, kastenförmiger Ziegelbau, außen sauber
mit Lehm verstrichen und weiß getüncht. Geheizt wurde er vom Flur her, und das
in den Wintermonaten Tag und Nacht. Es pflegte
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