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Die Abenteuer des starken Wanja

Die Abenteuer des starken Wanja

Titel: Die Abenteuer des starken Wanja
Autoren: Otfried Preußler
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anstarrten.
    »Heiliger
Erzengel Michael !« rief die Tante. »Du bist es, Wanja?
Was tust du denn auf dem Ofen? Magst du nicht essen kommen? Fehlt dir was, bist
du krank ?«
    Wanja
schüttelte stumm den Kopf.
    »He,
Brüderchen!« Grischa hielt ihm das Licht vor die Nase. »Hörst du nicht, daß das
Tantchen dich was gefragt hat? Antworte !«
    Wanja
gab keinen Laut von sich. Er deutete achselzuckend auf seine Lippen.
    Der
Vater beschwor ihn bei allen Heiligen, endlich etwas zu sagen, und Sascha, der
immer rasch die Geduld verlor, fing zu schimpfen an: »Laß den Unsinn, zum
Donnerwetter, und sprich — sonst erlebst du was !«
    Weiter
kam er nicht. Zornig wie eine Gluckhenne, der man die Küchlein wegnimmt,
fauchte das Tantchen ihn an:
    »Wirst
du wohl auf der Stelle dein loses Maul halten, Sascha! Wie kannst du solch
ungehobelte Reden führen? Siehst du nicht, daß der Junge krank ist ?«
    Von
jetzt an führte sie ganz allein das Wort.
    »Wanja !« bat sie. »Wanjuscha! Nun sag doch was, sprich doch
endlich! Heilige Muttergottes im Himmel, er ist doch nicht etwa stumm geworden?
Verstehst du mich wenigstens ?«
    Wanja
nickte.
    »Gottlob,
das ist schon ein Lichtblick! Ein kleiner jedenfalls! Und nun hör mal gut zu,
Wanjuscha: Daß jemand die Sprache verliert, kommt zuweilen vor. Aus Schreck
oder Freude oder, wovor uns der Himmel behüten möge, durch Hexerei. Aber es muß
nicht von langer Dauer sein, ganz und gar nicht. Morgen vielleicht — oder
übermorgen — ist alles schon wieder gut. Darum wollen wir nicht den Kopf
verlieren. Ich werde dir erst mal ein feines Süppchen kochen und ein Stück
Fleisch dünsten. Oder meinst du, Wassili Grigorewitsch, daß ein Schluck
Branntwein besser wäre für ihn? Na, was steht ihr denn da und glotzt? Bringt
die Flasche und einen Becher! Du magst doch ein Schlückchen Branntwein, Wanjuscha?
Das wird dir guttun...«
    Viel
hätte Wanja in dieser Stunde darum gegeben, sehr viel, wenn er dem Tantchen
alles hätte erklären dürfen: Warum es ihm weder erlaubt war, mit ihnen zu
sprechen, noch Suppe zu essen und Branntwein zu trinken, noch seinen Platz auf
dem Backofen zu verlassen. Wie sie sich um ihn sorgte, die gute Alte!
    »Muß
sie einem nicht in der Seele leid tun ?« dachte er.
»Wenn ich nicht aufpasse, rutscht mir am Ende doch noch ein Wort heraus .« Darum hielt er es für das beste, ein letztes Mal ganz
entschieden den Kopf zu schütteln, sich unter die Schafspelze zu verkriechen
und rasch wieder einzuschlafen.
     
    I n
Wanjas Leben gab es von diesem Tag an bloß noch zwei Dinge: Wenn er nicht
schlief, kaute er Sonnenblumenkerne; und wenn er nicht gerade Sonnenblumenkerne
kaute, dann schlief er. Davon ließ er sich weder von Grischa und Sascha
abbringen noch von Wassili Grigorewitsch und dem Tantchen, das immer wieder
besorgt nach ihm schaute und alles mögliche unternahm, um ihn vom Ofen
herunterzulocken, ohne Erfolg freilich. Selbst der Pope, den sie um Hilfe bat,
da sie es nicht für ausgeschlossen hielt, irgendwer könnte den armen Wanja
behext haben: selbst der Pope mit seinen Gebeten und seinem silbernen
Weihrauchfaß war machtlos.
    Das
einzige, was dem faulen Wanja während der ersten Wochen ein wenig zu schaffen
machte, war etwas anderes. Wenn nämlich seine Leute bei Tisch saßen und die
Stube nach Krautsuppe, Hammelfleisch und gebratenen Zwiebeln duftete, dann
verspürte er anfangs mitunter einen gewaltigen Appetit und hätte am liebsten
mitgehalten, statt immer bloß Sonnenblumenkerne zu kauen. Aber das legte sich
rasch, und bald brachten ihn selbst die leckersten Pfannkuchen nicht mehr in
Verlegenheit.
    Der
erste, der Wanja auf andere Weise beizukommen versuchte, war Sascha. Das war um
die Zeit der Heuernte. Heiße Tage bei schwerer Arbeit von früh bis zum späten
Abend — und Wanja lag in der kühlen, abgedunkelten Stube auf seinem Ofen und
ließ es sich wohl sein.
    »Nicht
mehr lang !« dachte Sascha grimmig.
    Statt
sich am Abend, wie er es wohl verdient hätte, schlafen zu legen, schleppte er
aus dem Schuppen Holz herbei und heizte den großen Backofen damit an. Er heizte
und heizte, als gelte es, einen ganzen Wald zu verfeuern.
    »Diese
Hitze kann er unmöglich aushalten !« dachte er.
    Aber
weit gefehlt! Die sieben Schafspelze, übereinandergeschichtet, boten dem faulen
Wanja gegen die ärgste Hitze von unten Schutz. Im übrigen ließ sich das
Schwitzbad ertragen, auch wenn es ein bißchen müde machte. Wäre es Wanja
erlaubt gewesen zu sprechen, am
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