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Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Titel: Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
Autoren: Edgar Wolfrum
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Politikwissenschaftler Wolfram Hanrieder hat diese Ordnung treffend als ein «penetriertes (also: durchdrungenes) politisches System» bezeichnet. Was bedeutete dies? Zunächst und ganz einfach: Die oberste staatliche Gewalt blieb bei den westlichen Besatzungsmächten, was im Besatzungsstatut geregelt war. Die Mächte konnten in deutsche Belange eingreifen. Besonders sinnfällig wurdedieser Vorrang durch den geographischen Ort, den die Hochkommissare McCloy (USA), Robertson (Großbritannien) und François-Poncet (Frankreich) als Sitz ihres Hauptquartiers wählten: den Petersberg, hoch über Bonn auf der östlichen Seite des Rheins gelegen. Auf diesem Berg befindet sich ein nobles Hotel, von dem aus man das gesamte Rheintal überblicken kann. Die Hochkommissare konnten sozusagen in die Niederungen der deutschen Politik schauen und, falls nötig, sofort eingreifen. Auf dem Petersberg ereignete sich auch die berühmte «Teppich-Szene», ein symbolisch wichtiger Akt. Worum ging es? Am 21. September 1949 bestellten die Hochkommissare die Mitglieder der neuen Bundesregierung zu sich ein. Ihnen sollte eingetrichtert werden, wer das Sagen hatte, und sie sollten untertänigst das Besatzungsstatut entgegennehmen. Man ließ die Deutschen zuerst lange im Regen warten, zitierte sie dann herein und platzierte sie geringschätzig um einen wertvollen roten Teppich herum, auf welchem Respekt einfordernd die Hochkommissare standen. Alle wussten, was dieses Protokoll zu bedeuten hatte – und Adenauer reagierte blitzschnell. Als er zu einer kurzen Ansprache anhob, betrat er beherzt den Teppich und verkehrte die beabsichtigte Symbolik in ihr Gegenteil. Er – und damit die Bundesrepublik – ließ sich nicht aussondern, sondern gehörte dazu. Eigentlich war dies ein Affront – eingeforderte Demut verwandelte Adenauer in Selbstbewusstsein –, doch die Alliierten behielten die Beherrschung.
    Die Vorbehaltsrechte der Alliierten reichten auch in die Außen- und Wirtschaftspolitik hinein und natürlich in den Bereich der Entmilitarisierung. Bis 1955 nutzte Adenauer alle Gelegenheiten, sich um einen Zuwachs an Souveränität für die Bundesrepublik zu bemühen. Dass die westlichen Demokratien die Westdeutschen brauchten, und zwar wirtschaftlich wie militärisch, kam dieser Strategie entgegen. Westintegration und deutscher Wehrbeitrag, die Pariser Verträge und die NATO-Integration von 1955, führten zu einer Revision des Besatzungsstatuts. Im Generalvertrag («Deutschlandvertrag») desselben Jahres wurde das Besatzungsregime aufgehoben. Freilich behielten die Mächte wichtige Vorbehalte, sie betrafen Notstandsrechte, alle Fragen zu Berlin und Deutschland als Ganzem, und dies schloss auch die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands mit ein; sie sollte bis zu einem Friedensvertrag aufgeschoben werden. Außerdem behielten sich die westlichen Alliierten Rechte bezüglich der Stationierung ihrer eigenen Streitkräfte vor. Einen weiteren Schritt zu mehrSouveränität tat die Große Koalition im Jahr 1968 mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze, durch die entsprechende Rechte der Alliierten abgelöst wurden. Aber erst mit dem «Zwei-plus-Vier-Vertrag» vom 12. September 1990 wurde die Bundesrepublik in vollem völkerrechtlichem Sinn souverän. Dieser war beides: ein nachholender Friedensvertrag, den es seit 1945 mit Deutschland als Ganzem ja nicht gegeben hatte, und zugleich ein Souveränitätsvertrag. Die deutschen Grenzen waren nun endgültig, Deutschland verzichtete auf die Herstellung und den Besitz atomarer, biologischer und chemischer Waffen und die Höchstgrenze der deutschen Streitkräfte sollte 370.000 Man betragen. Souveränität gehört zu den Merkmalen «klassischer» Nationalstaaten; insofern ist Deutschland seit 1990 – wie die anderen europäischen Staaten – ein «nach-klassischer» Nationalstaat. Denn die eingangs zitierte Vorstellung von «Souveränität» trifft heute nicht mehr zu, weil zahlreiche Souveränitätsrechte auf über-nationale Organisationen übertragen worden sind: auf die NATO und vor allem auf die EU.
    11. Was ist Verfassungspatriotismus? Das Grundgesetz ist eine gute Verfassung und die Deutschen brauchen sich nicht zu scheuen, es zu rühmen. Dennoch ist niemals in der bundesdeutschen Geschichte ein Verfassungsfeiertag eingeführt worden. Bis zur Wiedervereinigung 1990 war der 17. Juni 1953 der Nationalfeiertag – in Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR – «Tag der deutschen
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