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Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Titel: Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
Autoren: Edgar Wolfrum
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Artillerie». Fachleute waren entgeistert und reagierten entsetzt. Wusste der Kanzler, was er sagte? Man brauchte doch nur die Landkarte in die Hand zu nehmen, um zu ermessen, was es bedeutete, im geteilten Deutschland Atomwaffen mit sehr geringer Reichweite zu stationieren und gegebenenfalls auch einzusetzen. Dieses atomare Schlachtfeld hätte Mitteleuropa auf hunderte von Jahren unbewohnbar gemacht. Am 12. April 1957 warnten deshalb achtzehn führende deutsche Atomwissenschaftler, darunter die berühmten Atomphysiker Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, vor einer solch unverantwortlichen Verharmlosung von Atomwaffen und forderten, die Bundesregierung müsse Mitwirkung, Herstellung, Erprobung und Einsatz atomarer Waffen entschieden ablehnen. Sie nannten sich «Göttinger Achtzehn», was auf die gemeinsamen akademischen Anfänge vieler Mitglieder der Gruppe verwies und zudem historische Reminiszenzen beinhaltete. 1837 hatten schon einmal Göttinger Professoren – die Göttinger Sieben – gegen eine unbesonnene Politik der Obrigkeit protestiert, nämlich gegen König Ernst August von Hannover, der Freiheitsrechte beschnitten hatte. 1957 fand die Erklärung der Wissenschaftler, das Göttinger Manifest, ebenso wie 120 Jahre zuvor, ein breites Echo in der Öffentlichkeit, und die Aktivitäten gingen in eine große Volksbewegung «Kampf dem Atomtod» über. Aber auch ohne diese wäre es undenkbar gewesen, dass die Westalliierten der Bundesrepublik eine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen gewährt hätten – man traute den Deutschen nicht.
    7. Warum wollte Konrad Adenauer «Keine Experimente»? Dass es auf den Kanzler ankommt, ist in Wahlkämpfen ein zugkräftiger Slogan fast aller Bundeskanzler gewesen. In ihm steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit, weil der Kanzler nach dem Grundgesetz viel Macht in sich vereint. In der Hochzeit der Ära Adenauer galt diesnoch stärker als danach, denn persönliche Autorität und Machtfülle – Adenauer nahm zunächst auch die außenpolitischen Belange wahr – waren zentrale Bestandteile der «Kanzlerdemokratie».
    Es war eines der erfolgreichsten Wahlplakate der gesamten deutschen Geschichte: «Keine Experimente!» stand darauf über einem sehr entschlossen schauenden Kanzler Konrad Adenauer zu lesen, der immerhin bereits seit acht Jahren regierte und sein achtzigstes Lebensjahr überschritten hatte. «Keine Experimente!», niemals ist das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen treffender auf den Punkt gebracht worden, als auf diesem Plakat der CDU/CSU von 1957. In den 1950er Jahren schwang dabei vieles mit: Bloß keine außenpolitische Schaukelpolitik zwischen West und Ost, nicht den östlichen Sirenengesängen mit Blick auf ein neutrales Gesamtdeutschland nachgeben, sondern fest im Westen bleiben. Innenpolitisch hieß dieses Motto Sicherung des Wohlstands, des «Wirtschaftswunders», weiterer Ausbau der Sozialstaatlichkeit. Die Rentenreform von 1957 machte es vor. Und parteipolitisch: Diffamierung des Gegners. «Wir glauben, dass mit einem Sieg der SPD der Untergang Deutschlands verknüpft ist.» Adenauer sagte in diesem Wahlkampf immer wieder solche ungeheuerlichen Dinge. Nachdem der SPD-Vollblutpolitiker Kurt Schumacher, der es dem Kanzler mit gleicher Münze zurückgezahlt hatte, bereits 1952 an den Folgen langjähriger KZ-Haft gestorben war, konnte sein eher biederer Nachfolger Erich Ollenhauer gegen Adenauer keinen Stich machen. Bereits beim Bundestagswahlkampf 1953 hatte die CDU getitelt: «Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau». Dies verfehlte die Wirkung nicht, denn in den Augen der meisten Westdeutschen stand die SPD für Wankelmut und Risiko, man traute ihr wenig zu. Demgegenüber genoss Adenauer großes Vertrauen. «Keine Experimente!» – das sprach den Westdeutschen aus tiefster Seele, nachdem die Deutschen in diesem Jahrhundert selbstverschuldet so viele Experimente mit fatalen Folgen gemacht hatten. Nun jedoch, endlich Ruhe, Besonnenheit, kein Zaudern und kein Zagen, Kurs halten und dem «Alten» vertrauen. Die von keinem Zweifel angehauchte Sicherheit, das Richtige zu tun, brach sich hier Bahn. Und hier verband sich Konrad Adenauers Persönlichkeit mit den Wünschen der meisten Westdeutschen. Bei den Wahlen zum dritten Deutschen Bundestag am 15. September 1957 errang die Union mit diesem famosen Slogan die absolute Mehrheit der Stimmen – es war das einzige Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass
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