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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie
Autoren: Joseph Gelinek
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los? Sag jetzt nicht, du hast irgendeine unumgängliche Verpflichtung und kannst nicht hingehen!«
    »Das Konzert ist morgen Abend. Ich habe Alicia versprochen, sie vom Flughafen abzuholen.« »Dann vergiss es. Ich will keine Beziehungskrise auslösen.«
    »Auf keinen Fall. Das kann ich sicher regeln. Ich schicke ihr ein Taxi oder bitte irgendeinen Freund, sie abzuholen. Nicht einmal eine Atombombe könnte mich davon abhalten, dieses Konzert zu besuchen.«
    »Wenn sich herausstellt, dass Thomas ein Hochstapler ist, werden wir ihn auseinandernehmen, hörst du? Geh in das Konzert und sei mein Ohr, mein Auge, all meine Sinne. Dass dir nicht das geringste Detail entgeht. Es ist mir egal, was der Typ bisher gemacht hat: Wenn seine Komposition eine Ausgeburt seiner Phantasie ist, werden wir ihn und seinen Mäzen Jesus Marañón in Grund und Boden stampfen.«
    Einige Augenblicke verharrte Daniel nachdenklich und starrte aus dem gro ßen Fenster im Rücken Duráns. »Woran denkst du?«
    »Ach, an nichts. Mir ist bloß eingefallen, dass es Forscher gibt, die behaupten, an irgendeinem Ort in Europa liege verborgen das vollständige Manuskript der zehnten Symphonie Beethovens und warte nur darauf, entdeckt zu werden ...«
    Durán erwiderte nichts. Er beschränkte sich auf das feine Lächeln sehr routinierter oder sehr korrupter Politiker, das sie dann hervorholen, wenn sie offensichtlich etwas verbergen möchten.

4
    Am selben Nachmittag landete Louis-Pierre-Toussaint-Baptiste Bonaparte, franz ösischer Thronerbe und Nachkomme Napoleon Bonapartes, mit einem Flugzeug der Air France aus Paris-Orly in Madrid-Barajas. Der etwa fünfundfünfzig Jahre alte Prinz, klein und nervös wie sein berühmter Vorfahre, war in Wirklichkeit bloß der Urururenkel von Napoleons kleinem Bruder Jeróme. Der hatte es bis zum König von Westfalen gebracht: Zwischen 1807 und 1813 regierte er den vom Kaiser geschaffenen Marionettenstaat im Nordwesten Deutschlands. Louis-Pierre reiste in Begleitung seiner Frau. Er war von der Stiftung der Freunde Napoleons, deren Sitz sich unweit des französischen Konsulats befand, eingeladen worden, einen Vortrag über seinen berühmten Ahnherrn zu halten. Da die Möglichkeit, irgendwann einmal den Thron Frankreichs zu besteigen, eine reine Chimäre war - sein Land war schließlich die Republik schlechthin, außerdem gab es noch andere Anwärter auf den Thron, Orleanisten und Bourbonen -, beschränkte der Prinz sein Streben nach Höherem auf die Pflege des familiären Ansehens und die Lokalpolitik. In der korsischen Hauptstadt Ajaccio, Wiege der Bonapartes, war Louis-Pierre eine Berühmtheit, und er hatte Aussichten, bei den nächsten Bürgermeisterwahlen die größte Mehrheit in der turbulenten Geschichte der Insel überhaupt zu erhalten.
    Momentan jedoch war seine Haupteinnahmequelle die T ätigkeit rund um seinen illustren Vorfahren, der immer noch überall auf der Welt Leidenschaften weckte. Louis-Pierre verlangte für seine Seminare und Vorträge nie weniger als 6000 Euro. Hinzu kamen natürlich die Bücher über Napoleon. Eines von ihnen, Die Hölle von St. Helena, hatte wochenlang auf der Bestsellerliste des Figaro Litteraire gestanden.
    Obwohl weder der Prinz noch seine Gemahlin besondere Musikliebhaber waren, wollten sie dennoch den Aufenthalt in Spanien nutzen, um einer Einladung ihrer engen Freundin Sophie Luciani, Ronald Thomas' Tochter aus einer fr üheren Ehe, zu folgen: Ihr Vater würde am nächsten Tag im Hause Jesus Marañóns vor einer Handvoll Eingeweihter ein einzigartiges Konzert geben. Als sie die Kontrolle passiert und das Gepäck geholt hatten, sahen Louis-Pierre und seine Frau, dass die Stiftung jemanden geschickt hatte, um sie abzuholen. Der Mann hielt ein Schild in der Hand mit der Aufschrift MR. BONAPARTE. Die beiden machten ihm ein Zeichen, und eilfertig näherte er sich, um ihnen mit den Koffern zu helfen. »Hatten Sie einen angenehmen Flug?« »Nun ja, abgesehen von der Verspätung ...«, antwortete der Prinz. »Fahren wir zum Hotel?« »Ich fürchte, gerade wegen dieser Verspätung müssen wir direkt zur Stiftung fahren«, sagte der Assistent zögerlich, während er mit dem Gepäckwagen den Weg in Richtung Parkplatz einschlug.
    »Merde!«, entfuhr es der Prinzessin. »Vor dem Vortrag meines Mannes muss ich wenigstens noch duschen. Außerdem möchte ich Sophie sehen.« »Wir machen es so«, schlug der Prinz vor: »Sie setzen mei ne Frau im Hotel ab und fahren mich dann direkt weiter zum
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