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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie
Autoren: Joseph Gelinek
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gesehen, und du holst sie nicht ab? Wenn hier einer nicht heiratet, dann bist du es.« »Heute Abend ist ein Konzert, zu dem ich unbedingt hin muss.«
    »Ein Konzert? Überleg dir eine überzeugendere Entschuldigung. Mit dieser vermasselst du es dir auf jeden Fall.« »Ich habe jetzt keine Zeit, das zu erklären, aber es ist ein sehr besonderes Konzert.«
    Daniel h örte, wie die beiden im Hintergrund mit den vielen Terminen jonglierten, die sie an diesem Tag hatten. Dann kam Humberto ans Telefon:
    »Ich rufe dich im Laufe des Vormittags an und sage Bescheid, ob es klappt.«
    Nachdem Daniel seine Seminare abgehalten hatte, korrigierte er im B üro ein paar Klausuren. Dann fuhr er nach Hause, um sich umzuziehen. Weil es für die Spätsommerzeit ungewöhnlich heiß war, zog er sich nicht gleich an, sondern blieb eine Weile in Boxershorts. Er servierte sich eine Cola mit viel Eis, stellte den Ventilator an und recherchierte im Internet auf Thomas' Website, ob dort irgendwo die Reise nach Spanien erwähnt wurde. Oder ob es sonst irgendeine aktuelle Nachricht im Zusammenhang mit dem außergewöhnlichen Musikstück gab, das er gleich in der Residenz Jesus Marañóns hören würde: die Rekonstruktion des ersten Satzes von Beethovens zehnter Symphonie.
    W äre es Daniel in diesem Moment eingefallen, seine Mailbox abzuhören, hätte er darauf zwei Nachrichten vorgefunden: Die erste vom Direktor seiner Bankfiliale, der ihm mitteilte, wenn er nicht nach den nächsten Rechnungen in die roten Zahlen geraten wolle, müsse er dringend etwas auf sein Konto einzahlen. Die andere von Humberto: Wegen der aufwendigen Vorbereitungen für die Hochzeit hätten leider weder er noch Cristina Zeit, Alicia vom Flughafen abzuholen.
    Daniel aber war in Gedanken so sehr bei Ronald Thomas' einmaligem musikalischen Experiment, dass er einfach davon ausging, dass sein Freund das kleine logistische Problem mit Alicia f ür ihn lösen würde. Auf Thomas' Website wurden das Konzert und die Reise nach Spanien mit keinem Wort erwähnt, was noch einmal bestätigte, wie sehr beides der Geheimhaltung unterlag. Einen Artikel ließ Daniel links liegen, weil er nichts Neues hergab. Darin ging es um einen Freund Beethovens, Karl Holz, der in Briefen aus jener Zeit damit prahlte, er habe gehört, wie der Komponist am Klavier den ersten Satz der Zehnten spielte. Damit schien das Gerücht, der Musiker habe sich nie an eine zehnte Symphonie gewagt - in die Welt gesetzt vermutlich von Anton Schindler, dem intrigantesten Freund Beethovens -, widerlegt. Auf einer weiteren Seite wurde auf jenes andere Gerücht angespielt, das Daniel Durán gegenüber erwähnt hatte: dass möglicherweise ein vollständiges Manuskript des Werkes existierte, das noch niemand entd... Peng!
    Der Bildschirm wurde schwarz. Im ganzen Viertel brannte pl ötzlich keine einzige Lampe mehr. Das Stromnetz war überlastet; die vielen Klimaanlagen, die in der Stadt auf Hochtouren liefen, forderten ihren Tribut. Daniel zog an, was er im Konzert tragen wollte - eine frische Jeans, ein blaues kurzärmeliges Hemd und Bootsschuhe -, und weil er nun nichts anderes mehr zu tun hatte, ging er hinaus, um sich in der Kneipe an der Ecke einen Hotdog zu Gemüte zu führen. Er wusste, wenn Alicia wieder da war, würde er sein heißgeliebtes Fast Food nicht mehr essen können, ja, nicht einmal erwähnen durfte er es dann noch. Daher musste er seine vorläufig letzten Stunden als Junggeselle nutzen.
    Verdammt. Das Hotdog-Ger ät war dem Stromausfall zum Opfer gefallen. Also schwang er sich auf seine Buell Streetfighter und fuhr zu dem Park, in dem er für gewöhnlich joggte, um seinen Hotdog dort an einem Imbissstand zu essen. Er liebte das Essen von diesem Stand, der nach dem Modell amerikanischer Filme gebaut war. Es war der einzige seiner Art in der ganzen Stadt. Von dort aus war es nicht weit zu Marañóns Haus. So konnte er zuerst das Motorrad in der Garage des Instituts abstellen - die Buell war ein begehrtes Objekt für Diebe, so dass er sie nie auf der Straße stehen ließ - und dann in aller Ruhe zu Fuß weitergehen.
    Der Mann vom Hotdog-Stand l ächelte, als er ihn erblickte.
    »Ich habe Sie heute schon vermisst!« »Da bin ich. Aber nehmen Sie diesmal nicht so viel Senf und Ketchup, dass es womöglich tropft.« Daniel war, als blitze in den Augen des Verkäufers ein Funke Ärger auf, als hätte er mit seiner Bemerkung dessen Professionalität angezweifelt. »Sie sind Musiker, oder?«
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