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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie
Autoren: Joseph Gelinek
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plausiblen Motiv war sein Erzfeind auf der Insel, Gouverneur Lowe. Napoleons Tod befreite ihn von der Sorge, vom berühmtesten Gefangenen der Geschichte blamiert zu werden.«
    Eine blonde Frau, die zu sp ät gekommen war und keinen Sitzplatz mehr gefunden hatte, fragte von hinten aus dem Saal: »Und was ist mit Beethoven?«
    Die Frage wurde in einem so frechen Ton gestellt, dass es fast wie Blasphemie erschien. Ein gutes Dutzend Teilnehmer wandte den Kopf, um herauszufinden, wer das gesagt hatte. Die Frau aber verbarg ihr Gesicht mit einer Kappe aus braunem Stoff und einer dunklen Brille. Ein paar Sekunden lang durchwogte aufgeregtes Gefl üster den Saal, als wäre mitten in einer Hochzeit ein zweiter Bewerber erschienen. Der Moderator und der Prinz diskutierten eiligst, ob die Frage zugelassen werden sollte oder nicht. Als deutlich wurde, dass der Prinz ihr nicht ausweichen würde, verstummten die Zuhörer von einer Sekunde auf die andere, um sich nicht das geringste Detail seiner Reaktion entgehen zu lassen.
    »Beethoven?«, fragte er. »Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    »Beethoven hasste Napoleon. Als ihm klarwurde, dass Ihr Vorfahr die Ideale der Französischen Revolution verraten hatte, indem er sich selbst zum Kaiser krönte, zog er sogar die Widmung seiner dritten Symphonie, der Eroica, zurück.«
    Der Prinz lachte ungl äubig.
    »Und mir wirft man vor, an Verschwörungstheorien zu glauben! Sie deuten ernsthaft an, Beethoven könnte etwas mit Napoleons Vergiftung zu tun gehabt haben?« »Beethoven, verehrter Herr, war eng verbunden mit der abscheulichsten aller Geheimgesellschaften jener Zeit, dem Illuminatenorden. Vielleicht wissen Sie, dass seine Kantate auf den Tod Kaiser Josephs II. von dieser Sekte finanziert wurde.«
    »Die Illuminaten sympathisierten mit dem österreichischen Kaiser«, antwortete Bonaparte ein wenig nervös. »Und weiter?«
    »Österreich, mein lieber Prinz, war ein Todfeind Napoleons.«

5
    Am Tag des Konzertes war Daniel unruhig und zerstreut. Morgens rief er als Erstes Humberto an, um ihn zu bitten, Alicia vom Flughafen abzuholen und zu seiner Wohnung zu bringen, f ür die er ihm außerdem noch die Schlüssel geben musste.
    Die Stimme seines Freundes klang k ühl und distanziert. »Was ist los mit dir?«, fragte Daniel, der die musikalische Hypnose des Vortages schon wieder vergessen hatte. »Diese Musik, die du mir gegeben hast, hatte verheerende Auswirkungen.«
    Daniel f ühlte sich sofort schuldig. »Meinst du das ernst? Hast du etwa beschlossen, nicht zu heiraten?« »Nein, das zwar nicht, Daniel. Aber abends ist mir der Einfall gekommen, mit Cristina darüber zu reden, ob wir die Hochzeit nicht vielleicht verschieben könnten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie sich aufgeregt hat.« »Bist du verrückt? Wie kannst du einen Monat vor der Hochzeit vorschlagen, sie zu verschieben?« »Es war nicht der beste Zeitpunkt, mit dieser Teufelsmusik anzukommen.«
    »Mach jetzt nicht mich verantwortlich für eure Beziehungsprobleme. Du kannst allenfalls Beethoven die Schuld geben.« »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Nicht einmal traurig bin ich. Ich kann selber kaum glauben, was mir gerade passiert. «
    Daniel schwieg ein paar Sekunden und dachte dar über nach, wie er seinem Freund am besten helfen konnte. Schließlich fuhr er fort: »Soll ich Cristina anrufen?« »Und was willst du ihr sagen? Dass eine CD an der ganzen Misere schuld ist?«
    »Dann ruf du sie an und bitte sie um Verzeihung. Sag ihr, du warst gestern Abend betrunken, oder was weiß ich, irgendeine Ausrede. Aber du musst um sie kämpfen!« »Das kannst du ihr selber sagen, sie steht nämlich hier, neben mir, Schwachkopf.«
    »Verdammter Mistkerl! Du hast mich zum Narren gehalten? Ich bring dich um!«
    »Nein«, sagte Cristina, die den Hörer an sich genommen hatte, »ich bringe dich um, weil du versucht hast, meinen Verlobten kurz vor der Hochzeit einer Gehirnwäsche zu unterziehen!«
    Ihre Stimme klang vergn ügt und spöttisch, und Daniel wurde klar, dass sich die beiden auf seine Kosten amüsiert hatten.
    »Ihr seid ziemlich gemein. Ich hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen.«
    »Also«, sagte Cristina, »was, außer uns die Hochzeit zu verderben, treibt dich dazu, uns anzurufen?« »Kann einer von euch Alicia vom Flughafen abholen, zu mir nach Hause bringen und ihr die Wohnungsschlüssel geben? Wenn nicht, steht sie auf der Straße.« »Ihr habt euch seit Wochen nicht
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