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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie
Autoren: Joseph Gelinek
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Geheimniskrämerei immer nervös machte. »Und weshalb soll ich das Tag und Nacht hören?«
    »B. ist natürlich Beethoven. Hast du schon mal vom Mozart-Effekt gehört?« »Nein. Was ist das?«
    »1997 publizierte ein amerikanischer Musikwissenschaftler namens Campbell - wie die Suppe - ein umstrittenes Buch über den Mozart-Effekt , in dem er die Theorie verbreitete, dass Musik von Mozart, besonders die Klavierkonzerte, vorübergehend den Intelligenzquotienten hebt. Da Beethoven Mozart hoch drei ist, behaupte ich, dass Musik von Beethoven demnach dreifachen Einfluss hat.« »Aber Einfluss worauf?«
    »Auf wichtige Entscheidungen im Leben jedes Einzelnen, wie eben die, zu heiraten.«
    »Willst du damit andeuten, dass ich, wenn ich einige Tage lang Beethoven höre, schlauer werde und daraufhin die Hochzeit absage?«
    »Ich weiß es nicht.« Daniel legte seine Hand auf Humbertos Schulter, wie um seine Worte noch ernsthafter klingen zu lassen. »Aber ich bin dein Freund, und ich will alles versuchen, damit du nicht nachher sagst, Schuft, warum bist du mir nicht zu Hilfe geeilt? .«
    Humberto öffnete die Hülle und betrachtete die CD so misstrauisch, als sei sie das Gebräu eines Alchimisten. »Und was macht dieses ... dieses Ding mit mir, wenn ich es in die Anlage lege?«
    »Es wird dieselbe Wirkung auf dich haben wie bestimmte Medikamente, die zurzeit gegen Alzheimer eingesetzt werden. Sie haben die Eigenschaft, die zerebralen Neurotransmitter zu stimulieren. Du wirst feststellen, dass die Musik deinen Gemütszustand ändert und sich deine raumzeitliche Wahrnehmung , wie Psychologen es nennen, verbessert. Das ist die Fähigkeit, in Bildern zu denken - eine Fähigkeit, die unerlässlich ist, wenn es darum geht, Lösungen für komplexe Probleme zu finden, wie etwa in der Mathematik, der Kunst oder in Strategiespielen wie Schach.«
    »Verstehe«, sagte Humberto, dessen Argwohn gegenüber der CD nach und nach echter Neugier wich. »Leg sie ruhig schon einmal auf, wenn du magst«, sagte Daniel. »Dann siehst du, dass es sich nicht um Gehirnwäsche handelt und dass ich dir nicht mit der Absicht, deine Hochzeit zu sabotieren, verborgene Botschaften hinein gemogelt habe. Es ist nur Musik ... von Beethoven.«
    Humberto legte die CD in seinen Player. Kaum hatte er die ersten T öne gehört, legte sich ein Lächeln über sein Gesicht. »Es gefällt mir«, sagte er und machte es sich auf dem Sofa bequem. »Was ist das für ein Stück?« »Die Sonate in f-Moll op. 2, No. 1, eines der Empfehlungsstücke Beethovens, als er nach Wien kam. Es ist eine deutliche Hommage an Mozart, so deutlich, dass jeder Laie jener Zeit augenblicklich erraten hätte, dass sie inspiriert war von dessen Symphonie in g-Moll KV 183. Auch wenn es sich um ein Jugendwerk handelt - Beethoven war vierundzwanzig, als er es komponierte, und sein unverschämtes Talent war damals noch nicht ganz entwickelt -, begeistert mich diese Sonate, denn sie ist sehr charakteristisch für seine arrogante und zugleich fesselnde Persönlichkeit. Beethoven präsentierte sich in der Residenz des Prinzen Lichnowsky, seines großen Mäzens, mit einer Musik, die den Zuhörern sagt: »Ich kann komponieren wie Mozart, aber ich gehe weiter, denn ich bin Ludwig van Beethoven.«
    »Ich wusste gar nicht, dass Beethoven so ein Angeber war«, sagte Humberto trocken, doch wie immer erstaunt über die profunden musikalischen Kenntnisse seines Freundes.
    »Tja, das war er wohl tatsächlich. Aber Beethoven wuchs an diesen symbolischen Duellen mit Mozart und Haydn, in denen er für gewöhnlich glänzend abschnitt. Brahms dagegen, dessen erste Symphonie so eng an den Stil Beethovens angelehnt war, dass man häufig von ihr als der Zehnten sprach, brauchte vierzehn Jahre, um sie zu vollenden, da die panische Angst vor einem Vergleich mit dem tauben Genie ein ums andere Mal seine kreativen Energien blockierte. Hörst du mir überhaupt zu?«
    Offensichtlich nicht. Humberto war in eine Art musikalische Trance verfallen, aus der ihn aufzuwecken zwar nicht gef ährlich, aber doch unangebracht gewesen wäre. Deshalb entschloss sich Daniel, das Haus auf Zehenspitzen zu verlassen. Bevor er die Tür hinter sich zuzog, sagte er mehr zu sich als zu Humberto: »Und dass das klar ist: Ich habe Cristina schon immer für eine famose Frau gehalten.«
    Haben Chefs die Wahl, so beziehen sie ein B üro ganz oben im Gebäude. So auch Durán. Von dem seinen aus konnte man den benachbarten Park überblicken. Es hatte
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