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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm
Autoren: Iny Lorentz
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aber Ihr Vorgänger hat mich gelehrt, Vater und Mutter und besonders meinen Großvater als Familienoberhaupt zu ehren und ihnen zu gehorchen. Da mein Großvater mir befohlen hatte, nach Amerika zu reisen, konnte ich mich nicht dagegen sträuben.«
    »Welch ein Unsinn! Selbst du hättest wissen müssen, dass ein Kind deines Alters in diesem unzivilisierten Land nur vor die Hunde gehen kann«, rief der Gutsherr aus.
    »Oh, diese Gefahr glaubte mein Großvater ausschalten zu können, indem er mich in die Obhut der frommen Nonnen gab, die leider vor England ihr nasses Grab gefunden haben. Ich hätte bei ihnen bleiben sollen, bis ich volljährig geworden bin.«
    Es war eine seltsame Situation, dachte Lore. Da stand sie den Menschen gegenüber, die sie am meisten hasste, und verspürte weniger Unbehagen als Amüsement wegen der verzweifelten Versuche, sie ins Unrecht zu setzen. Dennoch hoffte sie, dass sie dieses Spiel nicht allzu lange würde mitmachen müssen, denn MalwinesMiene verkündete ihr bereits, dass dieses Weib sie für ihr festes Auftreten büßen lassen würde.
    Der Pastor begann nun einen Vortrag, der darin gipfelte, sie solle Gott dafür danken, wieder in der Heimat zu weilen, in der es Menschen gab, die für sie sorgen wollten. Malwine und einige der Anwesenden nickten eifrig, während Ottokar von Trettin einen Cognac brauchte, um die Rede des Pfarrers zu überstehen.
    »Du wirst Frau von Trettin in allem gehorchen und ihr für Unterkunft und Brot, die sie und ihr Herr Gemahl dir zukommen lassen, von ganzem Herzen danken!« Mit diesen Worten schloss der Pastor seine Predigt und blickte sehnsüchtig zu der Cognacflasche hinüber.
    Ottokar von Trettin kümmerte sich jedoch nicht um ihn, sondern starrte Lore nachdenklich an und fragte sich, ob er sie nicht mit einigen kleineren Zugeständnissen dazu bringen konnte, seiner Frau zu willfahren. Ein Blick in Malwines Gesicht ließ ihn jedoch davon Abstand nehmen. Seine Frau würde sich mit nichts weniger als mit Lores vollständiger Unterwerfung zufriedengeben.
    Danach sah es derzeit jedoch nicht aus. Lore musterte die Menschen im Raum, rieb sich dabei unbewusst über die Stirn und setzte zur Gegenrede an. »Ich bedauere, nicht die Dankbarkeit fühlen zu können, die man von mir erwartet. Doch ich wäre durchaus in der Lage gewesen, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Der auf der
Deutschland
umgekommene Graf Retzmann hat in der Stunde der Not seine Enkelin meiner Obhut anvertraut, und deren jetziger Vormund, Herr Thomas Simmern, Anteilseigner und hoher Repräsentant des Norddeutschen Lloyd, hat mich gebeten, mich auch weiterhin der armen Waise anzunehmen. Ich sollte als deren Gouvernante und Gesellschafterin wirken, und zum Dank dafür hat er mir versprochen, mir später, wenn die Komtess mich nicht mehr benötigt, das nötige Geld zu geben, um ein Geschäft eröffnen zu können.«
    Jetzt sahen sich einige Zuhörer erstaunt an. So hatte Malwine ihnen die Angelegenheit nicht dargestellt. Ottokars Frau begriff, dass sie etwas tun musste, um nicht als Megäre dazustehen, die dem Mündel ihres Mannes aus Bosheit eine angenehme Zukunft verbaut hatte.
    »Das ist doch Unsinn!«, rief sie. »Soviel ich weiß, ist dieser Thomas Simmern längst nicht mehr der Vormund der Komtess, sondern Herr Klampt aus Bremen. Dieser hat uns schriftlich aufgefordert, dich zurückzuholen, da du dich als Erzieherin der Komtess als völlig ungeeignet erwiesen hast.«
    Dieser Trumpf stach. Die meisten Zuhörer nickten, und auch Ottokar von Trettin atmete auf. Die Gefahr, bei den Nachbarn noch mehr an Kredit zu verlieren, schien vorerst gebannt. Nun stellte er sich in Positur, als wolle er seine Autorität unterstreichen. »Ich habe mit Herrn Klampt und auch mit dessen Frau Mutter, einer verwitweten Gräfin Retzmann, gesprochen. Sie waren beide der Meinung, dass Lore nicht der richtige Umgang für ihre junge Verwandte sei. Aus diesem Grund haben sie mich gebeten, das Mädchen zurückzuholen. Wären sie nicht um Lores Wohl besorgt gewesen, hätten sie dies nicht tun müssen, denn im Allgemeinen setzt man einen unliebsamen Dienstboten vor die Tür!«
    Malwine schenkte ihrem Mann einen anerkennenden Blick, der ihn aufatmen ließ, und trat auf Lore zu. »Als mittelloses Ding solltest du froh sein, bei uns freie Unterkunft und Kost zu erhalten.«
    »Wohl gesprochen!«, stimmte der Pastor ihr zu.
    Lores Augen flammten rebellisch auf. »Unterkunft und Verpflegung würde ich auch auf Gut
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