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Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation
Autoren: Arno Schmidt
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LBRICHT nun Schimmel & Bleß heißen darf, (eine Handlung, die, zumal in Bonn vorgenommen, weit weniger Mut erfordert, als man meint); sondern daß nun auch U LBRICHT =seinerseits ebenso freisamlich entgegnen kann, wie er Den & Jenen bei uns für einen großen Etcätera ästimire : Pfüat Justitia !. Eine von 2 interessierten Parteien gemessene Strecke ist nämlich mit nichten entweder a oder b lang – : ›Nun wähle !!‹ – sondern, mit wesentlich größerer Wahrscheinlichkeit, a plus b durch 2, (meinethalben auch ›Wurzel aus a mal b‹). Wenn ich ergo hören muß, wie ›bei uns‹ B RENTANO ex cathedra B ERT B RECHT schlecht macht: dann bekomme ich sofort Lust, ihm zu bedeuten, daß B RECHT der größere Mann war ! Und wenn ich, im August=drüben in der DDR, in der berühmten ›Sowjet=Encyclopädie‹, lesen mußte, daß J AMES J OYCE »reaktionär & dekadent« gewesen sei, voll »schmutziger Gefühle«, und überhaupt »äußerst formalistisch« : dann erlaube ich mir, dem Verfasser des betreffenden Tinnefs eine weit überdurchschnittliche Unwissenheit & Stumpfheit zu bescheinigen. Denn ›K UNST ‹ dürfte immerhin die (hoffentlich !!) kommende, allen Gebildeten nicht nur verständliche, sondern überzeugende ›Religion‹ darstellen : da wird es heute=schon die Pflicht jedes auch nur einigermaßen rechtlich Denkenden, (schätzungsweise doch 1 % der Menschheit), sämtliche in dieser Beziehung weltanschauliche oder sonst =empfindliche Halbmenschen hinter den Grenzpfahl zu verweisen ! Mit anderen Worten : in Richtung Bonn hin zu dekretieren : ›Ob Jemand K ARL M ARX besingt, oder die Jungfrau M ARIA – : das ist ganz gleich ! Hauptsache, es wird gut gesungen.‹; und nach Pankow hinüber : ›Der Arbeiter ist nicht das Maß der Literatur; sondern er hat sich gefälligst nach ihr hin zu bemühen !‹. –
    Denn, meine sanften Herren, : »Bürgerlich =dekadent« ist ja eben nicht bloß, wie jenes Vorwort es gern möchte, eine erste, rein= orientierende Einstufung, sondern stellt vielmehr ein unleugbares Urteil dar; in seinen bürgerlichen Auswirkungen sicher ebenso sinister für den betreffend=Betroffenen jenseits der ›Mauer‹, wie die Sprachregelung des ›kommunistisch ausgerichtet‹ es diesseits mit der gleichen Dexterität bewirkt. Und wenn so was aus einem officiösen Nachschlagewerk kommt oder aus Ministermündern, dann handelt es sich eben gar nicht mehr um ein ›Recht auf Meinungsfreiheit‹ (oder privateste Dämlichkeit), sondern um folgenreiche Entschlüsse von Leuten, die über P RÄMIEN S TI PENDIEN F REIPLÄTZE ja P REISE gebieten ! Die also folglich die ihnen genehme Richtung nach Herzenslust honorieren können !
    Da wird es, traun, wieder einmal hohe Zeit, sämtlichen Erdballsregenten zu bedeuten :
    : daß sie einen Dreck von Literatur verstehen ! (Ein Satz, an dem man, allenthalben & unverzüglich, das Große Staatssiegel dran befestigen lassen kann : ›C HICE AMAT RICE ‹ !). –
    [1963]

WAS BEDEUTET ›KONFORMISMUS‹ IN DER LITERATUR HEUTE ?
    Es ist nicht nur Lust an der Bosheit, sondern vor allem an Hintergründigkeit, wenn ich eingangs die Definition eines ›Conformers‹ nach der unschätzbaren Encyclopaedia Britannica gebe : hiernach ist es Einer, der auf die Uniformitätsakte von 1562 schwor, durch welche zumal die Liturgie der anglikanischen Hochkirche verbindlich geregelt wird – während ›Non=Conformisten‹ ganz simpel Alle nicht zur Staatskirche Gehörigen sind.
    Schon in dieser alten Begriffserklärung also taucht der Ausdruck ›Uniformität‹ auf; und in diesem Sinne wird ›Konformismus‹ heute wohl auch meistens gebraucht. Fast immer betrübt=tadelnd – wobei oft feine Kapitel zur Sprache kommen, wie ›Vermassung‹ oder ›Mangel an Frische‹ – und am Schluß der Aussprache erhebt sich dann wohl der Diskussionsleiter, und stellt fest, daß sämtliche Anwesende, hinsichtlich der nachdenklichen Aspekte solcher Geisteshaltung, völlig ›konform gingen‹.
    (In der Mathematik gibt es noch ›konforme Abbildungen‹ ein sehr interessantes Gebiet; aber viel zu tiefsinnig und kompliziert, auch zu fortschrittlich, um es in dem vorliegenden Zusammenhange auch nur zu streifen !).
    Es ist aber nicht nur ein böses Fehlgreifen in der Definition, sondern sogar ein verhängnisvolles Verkennen des fundamentalen Unterschiedes zwischen ›Uniformität‹ und ›Konformismus‹ in der Literatur, wenn man beide Worte als beliebig austauschbar
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