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Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation
Autoren: Arno Schmidt
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brennbar ist: macht sich irgendjemand klar, daß ›5 %‹ bei uns Zweieinhalb Millionen Menschen bedeuten ? Die also ohne Sprecher sein sollen ?! Und das in einem Lande, in dem das Zehnparteiensystem zum Grundgesetz erhoben werden müßte !).
    Was meint wohl der Leser=Hörer, wie die Originale der Bücher, Sendungen, Artikel, aussehen, die er gedruckt erblickt, bzw. hastig vorgeplappert erhält ? Da streichen Intendanten & Redakteure alle ›anstößigen Steilen‹; da drohen, vernehmen und haussuchen Polizei und Gerichte; die klerikalen Zeitungen fauchen, die der Soldaten brüllen. In Ländern, wo die Regierung sich mit 1 Weltanschauung und gleichzeitig dem Militarismus identifiziert – oder, frei herausgesagt, ich bin ungefähr so geschmeidig wie Stonehenge : links Kommunismus & Volksarmee; rechts Christentum & Allgemeine Wehrpflicht – in solchen Ländern kann keine Kunst gedeihen ! (Historischer Beleg : ich verweise darauf, daß von unseren 6 Größten – Klopstock, Lessing, Wieland, Herder, Goethe, Schiller : Messieurs, erheben wir uns von den Plätzen ! – nicht Einer katholisch war; und nicht Einer Soldat! Wohl aber gab es Atheisten darunter und Wehrdienstverweigerer – peinlicherweise ausgerechnet die Beiden frömmsten.)
    In jeder Hälfte Deutschlands werden es die Regierungen binnen kurzem so weit gebracht haben, daß man sich als Schriftsteller über die Spaltung freuen muß : die allein nämlich verhindert manchmal noch, daß man letzte, perfideste oder brutalste, Praktiken gegen uns anzuwenden sich noch scheut, ›aus Prestigegründen‹ Das ist das wahre deutsche Elend, daß Minister uns ungestraft sagen dürfen : »Wenn's Ihn' bei uns nich paßt, könn' Se ja rüber gehn !« Der Fall liegt doch so einfach, wa Puppe ? : willste unfrei sein – oder aber unfrei ? Nu wähl' schonn !
    Ich verwahre mich an dieser Stelle ausdrücklich dagegen, daß uniformierte Jungen oder befrackte Hasardeure, die ihrerseits die augenfälligsten Gebrechen mit patriotischen Lügen überkleistern, mich eines Mangels an Vaterlandsliebe bezichtigen möchten – nur weil ich nicht Ochse genug bin, mir eigenhändig den Fleischer zum König zu wählen. Wem verdankt denn Deutschland Ehrennamen wie ›Dichter & Denker‹ ? Seinen Ministern und Heerverderbern ? Oder uns Schriftstellern ?
    So lange es Gogen gibt, bin ich Demagoge !
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    Ich gebe im Folgenden das Mittel an, bei uns eine, wenn auch noch so bescheidene, echte Blüte der Literatur zu ermöglichen – falls die Regierung daran interessiert sein sollte; was ich bezweifle.
    : Man verleihe 100 Schriftstellern sowohl Immunität, als auch ein monatliches Fixum von 500 Mark (je Frau und Kind weitere 200).
    Mit anderen Worten : der Dichter müßte der unsinnigsten Nahrungssorgen enthoben werden; damit er, was theoretisch seines Amtes ist, gute Bücher schreiben könnte, und nicht mehr fluchend, ums lieben Brotes willen, Übersetzungen, Radiosendungen, Kurzgeschichten, und wie die süßen Nichtigkeiten alle heißen, anzufertigen brauchte. Und er müßte überdem ungekränkt und unbeunruhigt bei Namen nennen dürfen, was er für faul hält im Staate Dänemark – lieber einmal zu oft und einmal zu laut, als einmal zu wenig. Und da es eben zum Nationalcharakter des Deutschen, also auch des deutschen Poeten, gehört, daß ihm vor oder hinter einem Schreibtisch der Mut entsinkt, bedarf er der tröstlichen Gewißheit der Immunität: ihm verliehen würde sie schönere Früchte zeitigen, als bei den a=capella=Chören parlamentarischer Yes=Männer.
    Von besagten 100 darf 20 ernennen die CDU (vermutlich wäre aber damit das Große Bundesverdienstkreuz verbunden); 15 die SPD; je 5 FDP, BHE, und die kleinen aber zukunftsreichen Rechtsparteien; macht 50. Weitere 5 nominieren je die evangelische, wie die katholische Kirche; sowie die Akademie in Darmstadt. 30 die DDR (das wird später mal ein schwermütiges Vergnügen sein, diese Listen der west=östlichen Diwane zu vergleichen). Die letzten 5 werden ausgelost – die wahrhaft Guten müssen auch eine Chance haben.
    Jeder der 100 hat das Recht, alle 2 Jahre ein 5000=Mark=Stipendium an ihm würdig scheinende Anfänger zu verteilen (Sicherung des Nachwuchses !). Das ganze Projekt würde – inklusive ›Verwaltungskosten‹ – rund 2 Millionen im Jahr erfordern; also, falls man diesen Betrag nicht von den Rüstungskosten abzuzweigen verantworten könnte (von denen man, meines geringen Erachtens, 90 Milliarden anderen Zwecken zufuhren
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