Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation
Autoren: Arno Schmidt
Vom Netzwerk:
miterlebt, wie eine ›linke‹ Zeitschrift nach der andern abgewürgt wird; der, der nicht weiß, daß bereits wieder auf Judenfriedhöfen Spottpuppen erscheinen, und Schilder stehen mit der Inschrift »Deutschland erwache: Juda verrecke !«; daß Parteien verboten oder verhindert werden : macht sich denn Niemand klar, daß 5 % bei uns 2 % Millionen Menschen bedeutet ? die ohne ›Sprecher‹ sein sollen??!!)
    Sondern daß ich jeden Morgen aufstehen, und mich freuen muß, daß es die Deutsche Demokratische Republik gibt ! ( Und daß mein ostdeutscher Kollege sich vermutlich allmorgendlich erheben, und die Existenz der Bundesrepublik begrüßen wird !)
    Das allein nämlich – das Dasein zweier radikal verschiedener deutscher Staaten – verhindert die Machthaber auf beiden Seiten daran, letzte, infamste Methoden gegen die opponierenden unter ihren Staatsbürgern anzuwenden (zumindest kommt immer wieder der Zeitpunkt, wo man die sogenannten politischen Gefangenen‹ ›Zug um Zug‹ entlassen muß). Verhindert im Großen, daß einerseits der Samum der absoluten Konfessionalisierung und Militarisierung voll entfesselt werden kann; auf der anderen Seite muß der totalitäre Staat solange segensreich ›kurz treten‹, als ihm seine Bürger, und relativ einfach, davonlaufen können. (Obwohl bei uns zu Lande gern verschwiegen wird, daß auf 3, die aus der DDR kommen, immerhin 1 nach dem Osten geht.–)
    Und – nunmehr im Größten ! – verhindert solche Lage der Dinge hoffentlich auch das Furchtbarste : daß Deutsche je, und in Massen von Zehntmillionen, aufeinander schießen werden ! Nur solange sind wir Deutschen relativ ›sicher‹, als die Tyrannen in Moskau oder Washington – und wer von ihnen für uns am gefährlichsten ist, steht noch lange nicht fest: es könnte der Andere sein ! – uns ›nicht trauen‹! Nur solange dürfen wir zu überleben hoffen, als man dort mit Recht zweifelt, ob nicht in der Stunde X der arme uniformierte Rekrut, der sich seiner Schwester, seinem Vetter, oder auch nur dem ›Bruder allgemein‹ gegenübersieht, in Verzweiflung seine Flinte nach hinten, gegen die fremd= oder deutschsprachigen Antreiber richtet !
    Ich verwahre mich an dieser Stelle ausdrücklich gegen den Vorwurf uniformierter Jungen (Farbe beliebig) die mich des mangelnden Patriotismus bezichtigen möchten; aber so ideal eine ›Wiedervereinigung‹ auch wäre – niemand könnte ja mehr, als z. B. ein Schreibender, wünschen, daß sich sein Publikum entscheidend vergrößerte ! – so sehr bin ich dagegen, daß diese Wiedervereinigung im Geiste nur eines der beiden deutschen Teilstaaten vorgenommen würde : ich will weder schwarz noch rot sein !
    Ich bedarf keiner Belehrung. Ich habe, vielleicht als Erster, in meinem ›Steinernen Herzen‹ des Betrübten und Breiten beide geschildert, den Osten wie den Westen; ich kenne die Schwächen wie die Vorzüge von beiden. Ich weiß, daß im deutschen Westen wie Osten keine ›Freien Wahlen‹ stattfinden (und auch keine möglich sind: das ist ebenfalls keine ›Freie Wahl‹, wenn ich, von Großindustrie und den USA finanziert, neben 1 gegnerisches Plakat 10 von Yes = Männern kleben kann; das ist keine ›Freie Wahl‹, wenn ich neben eine simple politische Entscheidung die weltanschauliche schalte, und mit irgendeiner ›Hölle‹ drohe !)
    Es gibt bereits, und seit Jahrhunderten, diverse deutschsprachige, souveräne, Teilstaaten; sei es Österreich; sei es die Schweiz; sei es Luxemburg. Wir sind Zeugen der Entstehung zweier weiterer : der ›Bundesrepublik‹ und der ›Deutschendemokratischen‹. Finden wir uns mit dieser Tatsache ab. Begreifen wir, daß jede Pistole grundsätzlich so eingerichtet sein müßte, daß sie sich nach rückwärts, auf den Schießenden, entlädt ! – »Elender; Dir allein ist nicht Dein Vaterland teuer ?«
: »Ja, beim Himmel, auch mich kostet es Tränen genug !«
    [1957]

AM ZAUN
I
    Der Überflug war viel zu anstrengend gewesen; ich kann nicht schlafen, so in einem trüb erleuchteten Korridor unterm Himmel aufgehängt. ( Dazu all die Rudel von Gedanken : a) Wie würde das Abendland, jetzt nach zwanzig Jahren, dreinblicken ? b) Ob Petra noch irgendwo lebte ? – Nicht, daß ich nachforschen wollte; bewahre! c) Daß ich die drei Hörspiele nur geschlossen abgeben dürfte : macht zehntausend, d) Und natürlich all das Kleinzeug : Die Hochzeit unseres Funkers auf Tristan da Cunha, Nasen wie Schnabeltiere, die Braut hatte sich zur Feier eine neue
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher