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Dessen, S

Dessen, S

Titel: Dessen, S
Autoren: Because of you
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Die Wochenenden verbrachte ich bei ihm, aber dass es mir Spaß gemacht hätte, konnte ich nicht behaupten, dazu war er zu mies drauf. Er kämpfte mit dem Manuskript für seinen nächsten Roman, gleichzeitig war auf einmal fraglich, ob der überhaupt veröffentlicht werden würde, meine Mutter hingegen stand zunehmendim Rampenlicht   … Doch bei ihr fühlte ich mich auch nicht wirklich wohl, dazu war sie zu beschäftigt, ihr neues Leben als Single und ihren beruflichen Erfolg zu genießen: Ständig hatte sie Gäste, Studenten und Doktoranden gingen bei uns ein und aus, jedes Wochenende veranstaltete sie irgendein großes Abendessen. Mir kam es so vor, als gäbe es keinen Zwischenbereich, wo ich mich aufhalten konnte. Außer in
Ray's Diner
.
    Ich war schon eine Million Male dran vorbeigefahren, ohne es zu beachten, bis es mir eines Nachts gegen zwei Uhr, auf dem Heimweg zu meiner Mutter, auffiel. Weder mein Vater noch meine Mutter kümmerten sich noch groß darum, was ich trieb. Mein Stundenplan war so unübersichtlich und komplex – zum Teil hatte ich abends Unterricht, Kurse mit flexiblen Seminarzeiten, eigene Projekte, bei denen überhaupt keine Anwesenheitspflicht herrschte   –, dass ich kommen und gehen konnte, ohne dass sie je nachfragten. In jener Nacht warf ich im Vorbeifahren einen Blick zu
Ray's
rüber. Und irgendetwas packte mich plötzlich. Das Lokal sah nach Wärme und Geborgenheit aus. Außerdem hielten sich dort lauter Menschen auf, mit denen ich zumindest eins gemeinsam hatte. Deshalb parkte ich mein Auto, ging hinein, bestellte eine Tasse Kaffee und ein Stück Apfelkuchen. Und blieb bis Sonnenaufgang.
    Das Angenehme an
Ray's Diner
war, dass mich auch dann niemand nervte, als ich längst Stammgast geworden war. Niemand wollte mehr von mir, als ich zu geben bereit war, und sämtliche Gespräche waren nett, aber kurz. Wenn doch bloß alle Beziehungen so unkompliziertwären – und ich immer genau wüsste, wo mein Platz, welches meine Rolle war.
    Im letzten Herbst beugte ich mich gerade über die Bewerbungsunterlagen für diverse Colleges, als eine der Kellnerinnen, eine stämmige ältere Frau   – JULIE, laut ihrem Namensschild – an meinen Tisch trat, um mir Kaffee nachzuschenken, und dabei einen Blick auf den Papierstapel vor mir warf.
    »Defriese University«
, las sie laut vor. Musterte mich. »Ziemlich gutes College.«
    »Eins der besten«, pflichtete ich ihr bei.
    »Glaubst du, du wirst aufgenommen?«
    Ich nickte. »Ja, ich denke schon.«
    Sie lächelte, als fände sie mich irgendwie niedlich, und tätschelte meine Schulter. »Ach ja, noch einmal so jung und selbstsicher sein«, meinte sie.
    Ich wollte gerade erklären, dass ich überhaupt nicht selbstsicher war, sondern nur verdammt viel gelernt hatte. Aber sie war schon zum Nachbartisch gegangen und plauderte mit dem Typen dort. Außerdem interessierte es sie nicht wirklich. Es gab Welten, wo all das – Zensuren, Schule, Prüfungen, Durchschnittsnoten usw. – enorm viel bedeutete. Und andere, wo das eben nicht der Fall war. Mein gesamtes Leben war nach akademischer Relevanz ausgerichtet und das konnte ich nicht einfach abschütteln.
    Deswegen hatte ich all die speziellen Highschool-Abschlussjahr-Momente verpasst, die für meine alten Freunde von der
Perkins Dayder
Gesprächsstoff der letzten Monate gewesen waren. Das einzige Ereignis, beidem ich überhaupt erwog teilzunehmen, war der Abschlussball, und das auch bloß, weil Jason Talbot – mein Hauptkonkurrent, wenn es um den besten Zensurenschnitt ging – mich gefragt hatte, ob ich mit ihm hingehen würde; war anscheinend als eine Art Friedensangebot gemeint. Schließlich und endlich wurde selbst daraus nichts, jedenfalls nicht für mich, weil er in letzter Minute absagte. Er war zu irgendeiner hochwichtigen Umweltkonferenz eingeladen worden. Ich redete mir ein, dass es mir nichts ausmachte, letztlich war so ein Ball ja auch nichts anderes als Kissenschlachten und Fahrradverfolgungsjagden, nämlich überflüssig und albern. Trotzdem ging mir – und zwar nicht nur an jenem Abend, den ich schlussendlich allein zu Hause verbrachte – öfter die Frage durch den Sinn, was ich wohl verpasste.
    Ich hockte also Nacht für Nacht bei
Ray's
und so gegen zwei, drei, vier Uhr morgens durchzuckte es mich manchmal. Ein sehr merkwürdiges Gefühl. Dann blickte ich von meinen Büchern auf, betrachtete die anderen Gäste   – Lastwagenfahrer, Leute, die schnell einen Kaffee kippten, die üblichen
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