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Dessen, S

Dessen, S

Titel: Dessen, S
Autoren: Because of you
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wenn er ab und zu eine Windel wechselte. Sobald es darum ging, nachts aufzustehen und einen von euch zu füttern – Fehlanzeige. Ohne seine neun Stunden Schlaf könne er nicht unterrichten, behauptete er. Sehr praktisch.«
    Während sie redete, las sie immer noch in meinen Notizen. Und ich spürte denselben vertrauten Stich wie immer, wenn ich mich unversehens auf ihrem Prüfstand wiederfand. Doch im nächsten Moment legte sie die Karten kommentarlos beiseite.
    »Das ist ziemlich lang her«, meinte ich, während sie noch einen Schluck Kaffee trank. »Vielleicht hat er sich geändert.«
    »Menschen ändern sich nicht. Im Gegenteil, wenn man älter wird, verfestigen sich Gewohnheiten und Charakterzüge eher, anstatt sich zu verflüchtigen.« Sie schüttelte resigniert den Kopf. »Ich weiß noch, wie ich mit dem brüllenden Hollis in unserem Schlafzimmer saß und mir nichts sehnlicher wünschte, als dass sich die Tür öffnet, dein Vater hereinkommt und sagt: ›Gib ihn mir, ruh du dich aus.‹ Und irgendwann wollte ich nur noch Hilfe, egal von wem.«
    Während sie das sagte, blickte sie aus dem Fenster. Ihre Finger umschlossen den Kaffeebecher. Ich sammelte meine Karteikarten zusammen, brachte sie sorgfältig wieder in die richtige Reihenfolge. »Ich sollte mich mal fertig machen«, meinte ich und schob den Stuhl zurück.
    Sie rührte sich nicht. Als wäre sie eingefroren, säße nach wie vor wartend in ihrem Schlafzimmer, damals, mit Hollis. Zumindest bis ich den Flur erreicht hatte. Da sagte sie plötzlich doch noch etwas.
    »Du solltest das Faulkner-Zitat überdenken. Als Einstieg viel zu übertrieben, zu hochgestochen. Man wird dich automatisch für eine kleine Angeberin halten.«
    Ich blickte auf die oberste Karte in meiner Hand, auf der in meiner ordentlichen Blockschrift »Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist nicht einmal vergangen« stand. »Okay«, sagte ich. Sie hatte recht. Sie hatte immer recht. »Danke.«
    ***
    Ich hatte mich so auf meinen Highschool-Abschluss und die Vorbereitungen fürs College konzentriert, dass ich über die Zeit dazwischen überhaupt nicht nachgedacht hatte. Doch auf einmal war Sommer und nichts mehr zu tun, als darauf zu warten, dass mein eigentliches Leben wieder begann.
    Ein paar Wochen lang beschäftigte ich mich damit, alles zusammenzusammeln, was ich für die
Defriese University
brauchen würde. Außerdem versuchte ich, einige Schichten bei dem Nachhilfeservice zu ergattern, wo ich bis dahin erfolgreich gejobbt hatte, aber es herrschte gerade keine große Nachfrage. Anscheinend war ich die Einzige, die schon ans Studieren dachte, was ich vor allem daran merkte, dass meine alten Freunde von der
Perkins Day
mich immer wieder aufforderten, mit an den See zu fahren oder abends gemeinsam auszugehen.
    Ich hatte nichts dagegen, sie zu sehen. Doch jedes Mal, wenn wir uns trafen, kam ich mir vor wie das fünfte Rad am Wagen. Ich war zwar nur zwei Jahre auf eine andere Schule gegangen, trotzdem kam ich bei dem angeregten Geplauder über Sommerferienjobs, Jungs und wer mit wem liiert war nicht mehr mit. Nach ein paar dieser unbehaglichen Unternehmungen erfand ich immer häufiger Ausreden, warum ich nicht mit von der Partie sein konnte. Und nach einer Weile wurde ich nicht mehr eingeladen – die Botschaft war angekommen.
    Zu Hause war es ebenfalls komisch. Meine Mutter hatte ein Forschungsstipendium bekommen, sie arbeitete daher ununterbrochen. Und wenn nicht, tauchten ihrewissenschaftlichen Hilfskräfte und Assistenten ständig zu irgendwelchen improvisierten Abendessen oder spontanen Cocktailpartys bei uns auf. Wenn es mir zu laut und zu voll wurde, setzte ich mich mit einem Buch auf die Veranda und las, bis es so dunkel war, dass ich endlich zu
Ray's
fahren konnte.
    Eines Abends hockte ich wieder einmal vor dem Haus und war in ein Buch über Buddhismus vertieft, als ich plötzlich bemerkte, wie ein grüner Mercedes langsam unsere Straße entlangrollte. Er erreichte unseren Briefkasten, bremste, blieb schließlich stehen. Im nächsten Moment stieg eine hübsche junge Frau mit blonden Haaren aus, die Hüftjeans, ein rotes Tanktop, Sandalen mit Keilabsätzen und in einer Hand ein Päckchen trug. Sie spähte zu unserem Haus herüber, blickte auf das Päckchen, wieder zum Haus und marschierte dann los. Erst als sie die Stufen zur Veranda schon fast erreichte hatte, bemerkte sie mich.
    »Hi!«, rief sie so überfreundlich, dass es einem fast Angst einjagen konnte. Ich hatte den Gruß
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