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Désirée

Désirée

Titel: Désirée
Autoren: Annemaire Selinko
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sprach ruhig und klar. »Sie sind nicht mit Seiner Majestät gekrönt worden, Madame. Vielleicht wissen Sie gar nicht, dass wir auch eine Krone für unsere Königinnen haben. Eine sehr alte Krone sogar – nicht groß, aber schwer. Ich habe sie mehrere Male in der Hand gehalten. Sie sind doch die Mutter der Dynastie Bernadotte, Madame. Warum wollen Sie sich nicht krönen lassen?« »Bisher hat niemand daran gedacht«, sagte ich leise. »Aber ich denke daran. Ich bin die letzte Vasa in Schweden und bitte die erste Bernadotte, sich der alten Krone anzunehmen. Madame, versprechen Sie mir, sich krönen zu lassen?«
    »Mir liegen diese Zeremonien nicht«, murmelte ich. »Ich bin zu klein dazu, ich sehe gar nicht königlich aus.« Ihre blutlosen Finger öffneten sich und warteten auf meine Hand. »Ich habe nicht mehr viel Zeit, um zu bitten –« Da legte ich meine Hand in ihre. Ich habe einmal in einem Krönungszug ein Taschentuch auf einem Kissen tragen müssen, fiel mir ein. Die Glocken von Notre-Dame läuteten … Spürte sie meine Gedanken? »Ich habe mir aus den Memoiren dieses Napoleon Bonaparte vorlesen lassen. Wie sonderbar –«, sie musterte mich kritisch. »Wie sonderbar, dass sich die beiden bedeutendsten Männer unserer Zeit gerade in Sie verliebt haben, Madame. Sie sind doch wirklich keine Schönheit!« Dann seufzte sie – leise, so leise. »Schade, dass ich eine Vasa bin. Ich wäre viel lieber eine Bernadotte gewesen und hätte bürgerlich geheiratet und mich weniger gelangweilt.« Beim Abschied verneigte ich mich tief und küsste die verwelkte Hand. Die sterbende Prinzessin lächelte, zuerst erstaunt und dann ein wenig boshaft. Denn ich bin wirklich keine Schönheit …

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    Königliches Schloss in Stockholm,
Mai 1829.
    S eine Königliche Hoheit bedauert, aber es ist Seiner Königlichen Hoheit unmöglich, im Laufe dieser Woche eine freie Nachmittagsstunde zu finden. Jede Minute des Kronprinzen ist eingeteilt«, meldete mir Oscars Kammerherr.
    »Teilen Sie Seiner Königlichen Hoheit mit, dass es sich darum handelt, einen Wunsch seiner Mutter zu erfüllen.« Oscars Kammerherr zögerte, wollte widersprechen. Ich sah ihn starr an. Da verschwand er. »Tante, du weißt doch, dass Oscar so unendlich viel Verpflichtungen hat. Sein Dienst als Großadmiral, die Empfänge und Audienzen, die er abhalten muss. Und seitdem Majestät zwei Minister hat, die schlecht Französisch sprechen, muss er auch noch bei allen Staatsratsitzungen dabei sein«, mischte sich Marceline in Dinge, die sie nichts angingen. Oscars Kammerherr kehrte zurück. »Seine Königliche Hoheit bedauert, aber es ist ausgeschlossen in dieser Woche.«
    »Dann melden Sie Seiner Königlichen Hoheit, dass ich ihn heute Nachmittag um vier Uhr erwarte. Der Kronprinz wird mich auf einem Ausgang begleiten.«
    »Majestät, Seine Königliche Hoheit bedauert –«
    »Ich weiß, lieber Graf, mein Sohn bedauert, mir meinen Wunsch nicht erfüllen zu können. Deshalb melden Sie dem Kronprinzen, dass es sich nicht mehr um den Wunsch seiner Mutter, sondern um einen Befehl der Königin handelt.« Schlag vier ließ Oscar sich melden. Er erschien in Begleitung von zwei Adjutanten und seines Kammerherrn. Über dem Ärmel seiner blauen Admiralsuniform trug er den Trauerflor. Ich selbst war in Schwarz. Der ganze Hof trug Trauer um Prinzessin Sofia Albertina, die am 17. März gestorben und in der Riddarholm-Kirche in derGruft der Vasa beigesetzt worden ist. Ihr Staatsbegräbnis überraschte die Bevölkerung. Man hatte geglaubt, sie sei schon längst gestorben, und hatte sie ganz vergessen.
    »Zu Befehl, Majestät«, grüßte Oscar formell und schlug die Hacken zusammen. Dabei versuchte er, über mich hinwegzusehen, um mir zu beweisen, wie wütend er war. »Ich bitte dich, deine Herren zu entlassen, ich möchte diesen Weg allein mit dir gehen.« Ich rückte meinen Hut mit dem Trauerschleier zurecht. »Komm, Oscar!« Wortlos verließen wir die Gemächer, wortlos gingen wir die Treppe hinunter. Er hielt sich einen Schritt hinter mir. Als wir das Seitentor erreichten, durch das wir meistens das Schloss verlassen, um kein Aufsehen zu erregen, fragte er: »Wo ist denn dein Wagen?«
    »Wir gehen zu Fuß«, sagte ich. »Es ist doch so schönes Wetter.« Der Himmel war blassblau, der Mälar brauste grün, in den Bergen schmilzt jetzt erst der Schnee. »Wir gehen in die Västerlanggatan«, teilte ich ihm mit. Oscar übernahm die Führung, und ich trabte neben ihm durch die
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