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Désirée

Désirée

Titel: Désirée
Autoren: Annemaire Selinko
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ein Kleid, das Majestät bei Tag zu tragen wünschen?«
    »Eine Abendtoilette, die ich bei Tag tragen muss. Sie haben vielleicht in der Zeitung gelesen, dass ich am 21. August gekrönt werde. Haben Sie irgendein Material, das sich für – ja, also für eine Krönungstoilette eignet?«
    »Natürlich«, nickte Persson. »Den weißen Brokat von damals.« Er öffnete die Tür: »François!« Und zu mir gewandt: »Ich habe mir gestattet, meinen Sohn François zu nennen. Zur Erinnerung an Ihren Herrn Papa. François, bring mir den weißen Brokat aus Marseille, du weißt schon welchen!« Und dann hielt ich die schwere Rolle Brokat auf meinen Knien. Oscar legte das eingerahmte Flugblatt zur Seite und betrachtete den Stoff. »Wunderbar – Mama, das ist das Richtige!« Ich streichelte die Seide, fühlte die eingewebten Fäden aus echtem Gold … »Ist der Stoff nicht sehr schwer, Mama?« »Schrecklich schwer, Oscar. Ich habe das Paket damals selbst zur Postkutsche geschleppt, Monsieur Persson hatte nämlich so viel Gepäck, dass ich ihm helfen musste.«
    »Und der Papa Eurer Majestät hat erklärt, dass sich dieser Brokat nur für die Staatsrobe einer Königin eignet«, fügte Persson hinzu. »Warum haben Sie ihn niemals beiHofe angeboten?«, wollte ich wissen. »Sie hätten der verstorbenen Königin bestimmt eine große Freude damit bereitet.«
    »Ich habe den Brokat zur Erinnerung an Ihren Papa und die Firma Clary aufbewahrt, Majestät. Außerdem –«, sein Pferdegesicht wirkte auf einmal überlegen. »Außerdem bin ich nicht Hoflieferant. Der Brokat ist nicht verkäuflich.« »Auch heute nicht?«, fragte Oscar. »Auch heute nicht, Hoheit.« Ich saß sehr still, während Persson seinen Sohn rief. »François! Pack den Brokat der Firma Clary ein!« Und sich vor mir verbeugend: »Darf ich um die Gnade bitten, Eurer Majestät den Brokat schenken zu dürfen?« Ich senkte nur den Kopf. Sprechen konnte ich nicht. »Dann werde ich den Stoff sofort ins Schloss schicken, Majestät«, sagte Persson, und ich stand auf. Auf der Tapete über dem Stehpult schimmerte ein heller Fleck. Den hatte das Flugblatt hinterlassen. Sehnsüchtig schaute ich ihn an. Da griff Persson nach dem eingerahmten Blatt. »Wenn Majestät einen Augenblick warten wollen –«, er kramte im Papierkorb herum, fand eine alte Zeitung und schlug sie um den Rahmen. »Ich bitte Eure Majestät, auch dies hier anzunehmen. Vor vielen Jahren habe ich versprochen, dieses Blatt stets in Ehren zu halten. Und in jedem Augenblick meines Lebens ist es mir heilig gewesen.« Die langen Zähne kamen in einem ironischen Lächeln zum Vorschein. »Ich habe das Flugblatt eingepackt, damit Majestät unterwegs keine Unannehmlichkeiten haben. Ich persönlich habe nämlich mehrere Male Unannehmlichkeiten gehabt.« Arm in Arm wie ein Liebespaar wanderten Oscar und ich zurück. Dann kam das Schloss in Sicht, und ich hatte es ihm noch immer nicht gesagt – verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten. »Oscar, vielleicht hast du das Gefühl, einen Nachmittag auf meinen Wunsch vergeudet zu haben, aber –«, die ersten Wachtposten traten insGewehr. »Komm weiter, Oscar – ich habe mit dir zu sprechen.« Ich spürte, wie ungeduldig er war, aber ich machte erst auf der Brücke halt. Der Mälar schäumte und tobte unter uns. Mein Herz zog sich zusammen. Um diese Stunde beginnen die Lichter von Paris in der stillen Seine zu tanzen … »Ich habe nämlich heimlich gehofft, dass mir Persson Papas Flugblatt zurückgeben wird. Und deshalb habe ich dich mitgenommen, Oscar.«
    »Du willst mir doch nicht sagen, dass du dich jetzt mit mir über die Menschenrechte unterhalten willst!«
    »Nur darüber, Oscar.« Aber er hatte keine Zeit mehr und war sehr gereizt. »Mama, die Menschenrechte sind für mich keine Offenbarung mehr. Hier hat jeder gebildete Mensch von ihnen gehört!«
    »Dann müssen wir dafür sorgen, dass auch die Ungebildeten sie auswendig lernen«, meinte ich. »Dir will ich jedoch sagen, dass –« »Dass ich für sie kämpfen muss, nicht wahr? Soll ich dir das feierlich versprechen?«
    »Kämpfen? Die Menschenrechte sind doch längst verkündet worden. Du sollst sie nur – verteidigen.« Ich starrte ins schäumende Wasser. Eine Kindheitserinnerung stieg auf – ein abgeschlagener Kopf rollt in blutige Sägespäne. »Vor und nach ihrer Verkündigung ist sehr viel Blut geflossen. Napoleon hat sie sogar so tief erniedrigt, dass er sie in Kriegsproklamationen zitiert hat. Auch andere
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