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Désirée

Désirée

Titel: Désirée
Autoren: Annemaire Selinko
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schmalen Gassen hinter dem Schloss. Obwohl er innerlich vor Wut kochte, salutierte und lächelte er ununterbrochen. Denn alle Vorübergehenden erkannten ihn und verneigten sich. Ich hatte den Trauerschleier vor mein Gesicht geschlagen, aber es war ganz unnötig, ich war sehr einfach angezogen und sah so uninteressant aus, dass niemand auf die Idee kam, ich könnte zu Seiner Hoheit gehören. Oscar machte Halt. »Hier haben Eure Majestät die Västerlanggatan. Darf ich fragen, wohin wir uns jetzt begeben?«
    »In ein Seidenwarengeschäft. Es gehört einem gewissen Persson. Ich war noch nie dort, aber es wird nicht schwer zu finden sein.« Da riss Oscar die Geduld. »Mama! Ich habe zwei Besprechungen abgesagt und eine Audienz verschoben, um deinem Befehl nachzukommen. Und wohinschleppst du mich? In ein Seidenwarengeschäft! Warum lässt du die Hoflieferanten nicht zu dir kommen?« »Persson ist nicht Hoflieferant. Und dann – weißt du, ich möchte so gern sein Geschäft sehen.« – »Darf ich fragen, wozu du mich dazu brauchst?«
    »Du kannst mir helfen, den Stoff auszusuchen. Für mein Krönungskleid. Oscar … Außerdem möchte ich dich gern diesem Monsieur Persson vorstellen.« Oscar war sprachlos. »Einem Seidenhändler, Mama –?« Ich senkte den Kopf. Vielleicht war es eine schlechte Idee, Oscar mitzunehmen. Ich vergesse manchmal, dass mein Sohn Kronprinz ist. Wie ihn alle Leute anstarren! »Persson war bei deinem Großpapa Clary in Marseille in der Lehre. Er hat sogar in unserer Villa gewohnt.« Ich schluckte verzweifelt. »Oscar – es gibt einen Menschen in Stockholm, der meinen Papa und mein Zuhause gekannt hat!« Da beugte sich Oscar blitzschnell zu mir nieder und schob zärtlich seinen Arm unter meinen. Dann sahen wir uns suchend um. Schließlich hielt Oscar einen älteren Herrn an und fragte nach Perssons Laden. Leider verbeugte sich dieser ältere Herr vor lauter Ehrfurcht bis zur Erde, und Oscar musste selbst ganz zusammenknicken, um zu hören, was er murmelte. Dann richteten sich beide wieder auf. »Dort drüben«, erklärte mir Oscar triumphierend. Es war ein verhältnismäßig kleiner Laden. Aber schon in der Auslage sah ich erstklassige Seiden- und Samtrollen. Oscar stieß die Tür auf. Vor dem Ladentisch drängten sich eine Menge Kunden herum, keine aufgeputzten Hoffräuleins, sondern bürgerliche Damen in soliden dunklen Straßenkleidern und engen Samtjäckchen. Die ungeschminkten Gesichter waren von schweren Seitenlocken umrahmt, diese Frisur ist erst seit kurzem modern, und ich erkannte daran, dass Perssons Kunden wissen, was man trägt. Die Damen befingerten so eifrig die verschiedenen Stoffe, dasssie gar nicht auf Oscars Uniform achteten und wir herumgestoßen wurden, bis die Reihe an uns kam. Hinter dem Ladentisch standen drei junge Männer. Einer von ihnen hatte ein Pferdegesicht und blonde Haare und erinnerte an den jungen Persson von einst. Der fragte mich schließlich. »Womit kann ich dienen?«
    »Ich möchte gern Ihre Seidenstoffe sehen«, sagte ich in meinem gebrochenen Schwedisch. Zuerst verstand er mich nicht. Da wiederholte ich es auf Französisch. »Ich werde lieber meinen Vater rufen, mein Vater spricht sehr gut Französisch«, sagte das junge Pferdegesicht diensteifrig und verschwand. Plötzlich spürte ich, dass wir schrecklich viel Platz hatten, wir standen auf einmal ganz allein vor dem Ladentisch, das Gedränge hatte aufgehört – erstaunt sah ich mich um. Zu meinem Entsetzen bemerkte ich, dass sich alle anderen Kunden an die Wand pressten und mich anstarrten. Ein Flüstern lief durch den Raum: »Drottningen!« Ich hatte den Schleier zurückgeschlagen, um die Stoffe besser zu sehen. In diesem Augenblick öffnete sich eine Seitentür, und Persson wurde sichtbar. Persson aus Marseille. Unser Persson … Er hatte sich nicht sehr verändert, das helle Haar war farblos grau geworden. Die blauen Augen blickten nicht mehr schüchtern, sondern ruhig und selbstbewusst drein. Und er lächelte zuvorkommend, wie man eben Kunden gegenüber lächelt und zeigte dabei die langen gelben Zähne. »Madame wünschen Seide zu sehen?« sagte er auf Französisch. »Ihr Französisch ist womöglich noch schlechter geworden, Monsieur Persson«, konstatierte ich. »Und dabei habe ich mir seinerzeit solche Mühe gegeben!« Ein Ruck ging durch die lange hagere Gestalt. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber seine Unterlippe begann zu zittern, und er brachte kein Wort hervor. Es war totenstill im
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