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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch
Autoren: Emile Zola
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26., wurden in der Dämmerung bereits das Château d'Eau und die Bastille genommen; die Kommunarden hielten nur noch la Villette, Belleville und Charonne besetzt; sie waren jetzt auf eine Handvoll Tapferer zusammengeschmolzen, die sterben wollten. Noch zwei Tage lang sollten sie Widerstand leisten und wütend weiterfechten.
    Als Jean am Freitag abend vom Karussellplatz wegging, um wieder in die Rue des Orties zurückzukehren, erlebte er am Ende der Rue de Richelieu eine Massenhinrichtung, die ihn völlig niederschmetterte. Seit zwei Tagen arbeitetenzwei Kriegsgerichte, das erste im Luxembourg, das andere im Theater du Châtelet. Die von dem einen Verurteilten wurden gleich im Garten erschossen; die des andern dagegen schleppte man nach der Lobaukaserne, wo ständig tätige Abteilungen sie auf dem innern Hofe, fast unmittelbar vor den Mündungen der Gewehre erschossen. Hier vor allem wurde die Schlächterei gräßlich: Männer, Kinder, die auf irgendein Anzeichen hin verurteilt waren, pulvergeschwärzte Hände oder nur Soldatenschuhe an den Füßen, Unschuldige, die falsch beschuldigt waren, Opfer von Privatrache, die noch ihre Erklärungen herausheulten, ohne sich Gehör verschaffen zu können; herdenweise wurden sie wild durcheinander vor die Mündungen der Gewehre getrieben, so viel Elende auf einmal, daß nicht Kugeln genug für alle da waren und die Verwundeten mit Kolbenhieben erschlagen werden mußten. Das Blut rieselte nur so, Karren brachten die Leichen vom Morgen bis zum Abend weg. Und in der ganzen eroberten Stadt vollzogen sich weitere Hinrichtungen infolge dieser verrückten Wut nach Rache, vor den Barrikaden, an den Hauswänden in den verlassenen Straßen, auf den Stufen der Denkmäler. Jean sah, wie die Einwohner des Viertels auf diese Weise eine Frau und zwei Männer zu dem Posten schleppten, der das Theâtre Français bewachte. Die Bürger benahmen sich hierbei noch wilder als die Soldaten; die wieder erscheinenden Zeitungen hetzten sie bis zum äußersten. Die gewalttätige Menge war vor allem gegen die Frau erbittert, eine jener Petroleusen, die leicht entzündbare, furchtsame Einbildungen erschreckten; sie sollten abends an den Häusern der Reichen entlangschleichen und Kannen voll Petroleum in die Keller gießen und anzünden. Wie es hieß, war diese dabei erwischt worden, als sie sich über ein Kellerfensterin der Rue Sainte-Anne beugte. Trotz ihres Schluchzens und ihres Ableugnens warf man sie in den Graben vor einer Barrikade, der noch nicht wieder ausgefüllt worden war, und erschoß sie alle drei in dem schwarzen Erdloch wie in der Falle gefangene Wölfe. Spaziergänger sahen dabei zu; eine Dame blieb mit ihrem Manne stehen, und ein Bäckerjunge, der eine Torte in der Nachbarschaft zu bestellen hatte, pfiff ein Jägerlied dazu.
    Jean beeilte sich, in die Rue des Orties zu kommen; sein Herz fühlte sich wie Eis an, als er plötzlich ein Wiedersehen feierte. War denn das nicht Chouteau, der Mann seiner früheren Korporalschaft, den er da in der weißen Bluse eines ehrbaren Arbeiters stehen sah, wie er der Hinrichtung mit zustimmenden Gebärden zusah? Und er wußte doch, was für ein Räuber, Verräter, Dieb und Mörder der da war! Einen Augenblick war er im Begriff, umzudrehen und ihn anzuzeigen und auf den Leichen der drei andern erschießen zu lassen. Ach, der Jammer, wenn die Schuldigsten ihrer Züchtigung entgehen und ihre Straflosigkeit im Sonnenschein spazierenfahren können, während Unschuldige in der Erde faulen müssen!
    Henriette war bei dem Geräusch heraufkommender Schritte auf den Treppenabsatz herausgetreten.
    »Seien Sie vorsichtig, er ist heute in einem außergewöhnlich erregten Zustande ... Der Stabsarzt war da, er hat mir keine Hoffnung gelassen.«
    Wirklich hatte Bouroche mit dem Kopfe genickt und hatte noch nichts versprechen können. Vielleicht würde die Jugend des Verwundeten doch noch über die Zufälle siegen, die er befürchtete.
    »Ach, du bist's,« sagte Maurice fieberhaft zu Jean, sobalder ihn erblickte; »ich wartete schon auf dich; was machen sie denn, wie weit sind sie?«
    Und mit dem Rücken gegen ein Kopfkissen, das Gesicht dem Fenster zugekehrt, das er seine Schwester wieder zu öffnen gezwungen hatte, zeigte er auf die schwarze Stadt, die ein neuer Feuerschein erhellte:
    »Nicht wahr? Es geht wieder los, Paris brennt, diesmal brennt Paris ganz und gar!«
    Seit Sonnenuntergang hatte der Brand des Kornspeichers d'Abondance die entlegeneren Stadtteile am obern
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