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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch
Autoren: Emile Zola
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wollte aufstehen und sich aus dem Fenster lehnen.»Paris brennt noch, nichts wird übrigbleiben ... Ach, die Flamme nimmt alles mit, sie heilt alles, ich habe sie gewollt, ja! Sie macht gute Arbeit ... Laßt mich hinunter, laßt mich das Werk der Menschlichkeit und Freiheit zu Ende führen ...«
    Jean gab sich alle erdenkliche Mühe, ihn wieder ins Bett zu bringen, während Henriette ihm unter Tränen von ihrer Kindheit erzählte und ihn bei ihrer gegenseitigen Anbetung anflehte, sich zu beruhigen. Und über dem gewaltigen Paris wuchs der Widerschein der Glut immer mehr an; das Flammenmeer schien die Finsternis am fernsten Horizont zu ergreifen; der Himmel war wie das Gewölbe eines bis zu hellem Rot erhitzten Riesenofens. Und durch die gelbliche Helligkeit der Feuersbrunst zogen die mächtigen Rauchwolken des seit zwei Tagen hartnäckig ohne Flamme weiterbrennenden Finanzministeriums immer weiter wie eine düstere, feierliche Trauerwolke dahin.
    Am nächsten Tage, dem Sonnabend, trat in Maurices Zustand eine plötzliche Besserung ein: er war viel ruhiger, das Fieber sank; es war für Jean eine große Freude, als er Henriette lächelnd vorfand, sie hatte ihren Traum von dem traulichen Zusammensein zu dreien wieder aufgenommen und hoffte wieder auf eine glückliche Zukunft, wenn sie sie auch nicht fest zu umschreiben wagte. Wollte das Schicksal sie begnadigen? Die ganzen Nächte wich sie nicht aus dieser Kammer, die ihre sanfte Aschenbrödelgeschäftigkeit, ihre leichtes schweigsame Fürsorge mit einer fortwährenden Liebkosung erfüllte. Und heute abend vergaß Jean sich ganz bei seinen Freunden in staunender, zitternder Freude. Im Laufe des Tages hatten die Truppen Velleville und die Buttes-Chaumont genommen. Jetzt leistete nur noch der in ein befestigtesLager verwandelte Père-Lachaise Widerstand. Alles schien vorbei; er behauptete sogar, es würde niemand mehr erschossen. Er sprach nur davon, Haufen der Gefangenen würden nach Versailles gebracht. Morgens hatte er einen auf dem Kai getroffen, Männer in Blusen, im Überzieher, in Hemdärmeln, Frauen jedes Alters, die einen mit tiefen Furchen in ihren Furienlarven, andere wieder in der Blüte ihrer Jugend, kaum fünfzehn Jahre alte Kinder, ein sich vorwärts wälzender Strom des Elends und des Abscheus, den die Soldaten durch den hellen Sonnenschein dahintrieben und die Versailler Bürger, wie es hieß, unter Spottreden mit Stockschlägen und Schirmstößen empfingen.
    Am Sonntag aber war Jean voller Furcht. Es war der letzte Tag dieser Schreckenswoche. Seit dem sieghaften Aufgange der Sonne fühlte er etwas wie einen Schauer des letzten Todeskampfes durch den klaren, warmen Festtagmorgen sich hinziehen. Erst jetzt hatte man die verschiedenen, an den Geiseln begangenen Mordtaten erfahren, an dem Erzbischof, dem Pfarrer der Madeleine und andern, die am Mittwoch bei La Roquette erschossen worden waren, an den am Donnerstag wie Hasen im Laufen erschossenen Dominikanern von Arceuil, an andern Priestern und Gendarmen, die, siebenundvierzig an der Zahl, im Bezirk der Rue Haro am Freitag unmittelbar vor den Mündungen der Gewehre umgebracht waren; die Wut nach Vergeltungsmaßnahmen lebte wieder auf, und die Truppen richteten die letzten Gefangenen, die sie noch machten, in Massen hin. An diesem schönen Sonntage hörte das Gewehrfeuer in dem Hofe der von Todesröcheln, Blut und Pulverrauch erfüllten Lobaukaserne gar nicht auf. Bei La Roquette wurden zweihundertsechsundzwanzig Unglückliche, die man mit einem Zuge gefangen hatte, auf demHaufen erschossen, von Kugeln zerhackt. Auf dem seit vier Tagen beschossenen Père-Lachaise, der schließlich Grab für Grab genommen werden mußte, warfen sie hundertachtundvierzig gegen die Mauer, von der der Putz in großen roten Tränen herabrieselte; und drei von ihnen, die nur verwundet gewesen waren und entweichen wollten, wurden wieder ergriffen und umgebracht. Wie viele brave Leute auf einen Lumpen unter den zwölfhundert Unglücklichen, denen die Kommune das Leben gekostet hatte! Es hieß, von Versailles sei Befehl gekommen, die Hinrichtungen einzustellen. Aber das Morden ging trotzdem weiter; Thiers sollte bei all seinem reinen Ruhm als Befreier seines Landes doch der Meuchelmörder bleiben; der Marschall Mac Mahon aber, der Besiegte von Fröschweiler, dessen den Sieg verkündigende Bekanntmachung die Mauern bedeckte, der hieß nur noch der Sieger vom Père-Lachaise. Und das sonntägliche Paris erschien im Sonnenschein wie zu
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