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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch
Autoren: Emile Zola
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überwachen, so daß er hoffen konnte, als er mit seiner Kompanie auf dem Karussellplatz Biwak bezog, jeden Abend zu ihnen heraufkommen zu können, um sich Nachricht über den Verwundeten zu holen. Und er kam auch nicht allein zurück; ein glücklicher Zufall hatte ihn seinen alten Stabsarzt von den 106ern finden lassen, den er nun aus Verzweiflung mitbrachte, weil er keinen andern Arzt finden konnte und er sich selbst sagte, dieser schreckliche Mensch mit dem Löwenkopfe wäre doch ein braver Mensch.
    Als Bouroche, der nicht wußte, um was für einen Soldaten ihn der Mann mit seinen Bitten bemühte und der darüber schimpfte, daß er so hoch hinaufklettern müßte, nun begriff, daß er einen Kommunarden vor Augen habe, geriet er zuerst in rasenden Zorn.
    »Gottsdonnerwetter! Wollen Sie sich über mich lustig machen? ... Räuber, die müde sind, noch weiter zu stehlen, zu morden und zu brennen! Sein Fall ist ganz klar, dem Räuber seiner da, und ich will ihn schon wieder heilkriegen, jawohl! Mit drei Kugeln in den Schädel!«
    Aber der Anblick Henriettes, die so blaß in ihren schwarzenKleidern dastand mit ihrem schönen, aufgelösten Blondhaar, brachte ihn plötzlich wieder zur Ruhe.
    »Es ist mein Bruder, Herr Stabsarzt, einer Ihrer Soldaten von Sedan.«
    Er antwortete nicht, legte die Wunde bloß, untersuchte sie schweigend, zog ein paar Fläschchen aus der Tasche und brachte den Verband wieder in Ordnung, wobei er der jungen Frau zeigte, wie sie sich dabei benehmen müsse. Mit seiner rauhen Stimme fragte er dann plötzlich den Verwundeten:
    »Warum hast du dich auf die Seite dieser Lumpen geschlagen, warum machst du solche Schweinereien?«
    Maurice hatte ihn, seit er da war, mit leuchtenden Augen angesehen, ohne den Mund zu öffnen. Glühend vor Fieber antwortete er jetzt:
    »Weil es zuviel Leid, zuviel Ungerechtigkeit und zuviel Schande in der Welt gibt!«
    Nun machte Bouroche eine heftige Bewegung, wie um zu sagen, es führe zu weit, wenn man sich auf solche Gedanken einließe. Er war im Begriff, etwas zu erwidern, schwieg aber doch endlich. Und indem er fortging, sagte er nur noch:
    »Ich komme wieder.«
    Auf dem Treppenabsatz erklärte er Henriette, er stehe für nichts ein. Die Lunge sei ernstlich angegriffen, und es könne zu einem Blutsturz kommen, der den Verwundeten sofort töten müßte.
    Henriette zwang sich zu lächeln, als sie wieder hereinkam, obwohl sie einen Stich mitten durchs Herz bekommen hatte. Konnte sie ihn nicht retten, konnte sie dies Scheußliche nicht verhindern, das sie alle drei, die hier noch einmal in heißem Lebensdrange zusammengeführt worden waren, auf ewig trennen müßte? Sie verließ tagsüber das Zimmer nicht;eine alte Nachbarin hatte ihr freundlicherweise ihre Besorgungen abgenommen. Und so nahm sie denn ihren Platz auf einem Stuhl am Bett wieder ein.
    In seiner fieberhaften Erregung begann Maurice aber Jean auszufragen und wollte alles wissen. Der aber erzählte ihm nicht alles; er vermied es, ihm von der rasenden Wut zu erzählen, die sich jetzt in dem befreiten Paris gegen die im Sterben liegende Kommune erhob. Es war schon Mittwoch. Seit Sonntag abend, zwei volle Tage lang, hatten die Einwohner vor Furcht schwitzend in ihren Kellern gelebt; und als sie sich am Mittwoch morgen wieder herauswagen konnten, erfüllte sie der Anblick der aufgerissenen Straßen, das Blut, vor allem die schauderhaften Brandstiftungen mit verzweifeltem Rachedurst. Die Züchtigung sollte fürchterlich werden. Sie durchsuchten die Häuser und trieben den Strom verdächtiger Männer und Weiber, den sie aufjagten, den Truppenabteilungen zur sofortigen Hinrichtung zu. Seit sechs Uhr abends waren die Versailler Truppen am heutigen Tage Herren von halb Paris, vom Park von Montsouris durch die großen Straßenzüge hindurch bis zum Nordbahnhof. Die etwa zwanzig letzten Mitglieder der Kommune hatten Zuflucht auf dem Boulevard Voltaire in der Mairie des elften Bezirks suchen müssen.
    Sie waren still, und Maurice flüsterte, die Augen bei der lauen Nachtluft, die durch das offene Fenster hereindrang, weit über die Stadt hin schweifen lassend:
    »Also es geht doch weiter, Paris brennt!«
    Es war wahr, seit dem Sinken des Tageslichtes wurden die Flammen wieder sichtbar, und von neuem überzog sich der Himmel mit dem Purpur dieses verbrecherischen Rots. Als die Pulverfabrik im Luxembourg am Nachmittag mit furchtbaremKrachen in die Luft sprang, hatte sich das Gerücht verbreitet, das Pantheon breche in die
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