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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch
Autoren: Emile Zola
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Schweigen, die volles Vertrauen ausdrückte.
    »Sterben! Aber das gebe ich nicht zu, ich will, daß du am Leben bleibst ... Sprich nicht mehr, laß mich mal machen!«
    Als Henriette aber den durchstochenen Arm und die getroffenen Rippen untersucht harte, wurde sie düster und ihre Augen verdunkelten sich. Mit Lebhaftigkeit ergriff sie vondem Zimmer Besitz; sie fand schließlich etwas Öl, zerriß ein paar alte Hemden, um Binden darauszumachen, während Jean nach Wasser suchte. Er machte den Mund nicht mehr auf; er sah zu, wie sie die Wunden wusch, sie geschickt verband, aber er war unfähig, ihr zu helfen, ganz niedergebrochen, seitdem sie da war. Als sie fertig war und er ihre Besorgnis sah, bot er ihr aber doch an, er wolle sich auf die Suche nach einem Arzte begeben. Aber sie hatte sich all ihre klare Einsicht bewahrt: nein, nein! Nicht den ersten besten Arzt, der ihren Bruder vielleicht ausliefern würde! Es mußte ein sicherer Mann sein; ein paar Stunden könnten sie noch warten. Und als Jean endlich davon sprach, er müsse gehen, um sein Regiment wieder zu suchen, da machten sie ab, er sollte wiederkommen, sobald es ihm möglich sein würde wegzukommen, und sollte einen Chirurgen mitbringen.
    Er ging aber noch nicht fort; er konnte sich scheinbar nicht entschließen, dies Zimmer zu verlassen, das so voll von dem von ihm angerichteten Unheil war. Nachdem sie das Fenster einen Augenblick geschlossen hatte, öffnete sie es von neuem. Und von seinem Bette aus sah der Verwundete, den Kopf hoch unterstützt, ebenso wie die andern, mit verlorenen Blicken ins Weite bei dem düstern, verlegenen Schweigen, in das sie verfallen waren.
    Hier oben von der Butte des Moulins aus dehnte sich ein großer Teil von Paris vor ihnen aus, zunächst die mittleren Viertel vom Faubourg Saint-Honoré bis an die Bastille, dann der ganze Seinelauf mit dem Gewirre seines linken Ufers, ein Meer von Dächern, Baumgipfeln, Glockentürmen, Kuppeln und Türmen. Es wurde immer heller; die scheußliche Nacht, eine der abscheulichsten in der Geschichte, war vorüber. Aber in dem reinen Lichte der aufgehenden Sonnedauerten unter dem rosenroten Himmel die Feuersbrünste an. Sie sahen, wie die Tuilerien gegenüber immer noch brannten, die Orsay-Kaserne, die Paläste des Staatsrates und der Ehrenlegion, deren vom vollen Tageslichte gebleichte Flammen den Himmel erschauern ließen. Aber jenseits der Häuser der Rue de Lille und der Rue du Bac mußten noch andere Häuser brennen, denn von der Kreuzung der Croix-Rouge und noch weiter aus der Rue Vavin und Notre-Dame-des-Champs stiegen Flammensäulen empor. Ganz in ihrer Nähe auf dem rechten Ufer brachen die Brände der Rue Saint-Honoré jetzt in sich zusammen, während auf dem linken im Palais Royal und dem neuen Louvre das Feuer nur langsam um sich griff und bis gegen Mittag nicht zum Durchbruch kommen konnte. Aber was sie sich zuerst gar nicht erklären konnten, das war eine riesige schwarze Wolke, die der Westwind auf ihr Fenster zutrieb. Seit drei Uhr morgens brannte das Finanzministerium ohne hohe Flamme; es verzehrte sich in dicken Rauchwirbeln, da der mächtige, in den niedrigen, verputzten Räumen aufgehäufte Papiervorrat das Feuer ganz erstickte. Und selbst wenn jetzt beim Erwachen der großen Stadt der traurige Eindruck der Nacht, der Schrecken der vollständigen Zerstörung, die Seine mit ihren treibenden Bränden gar nicht dagewesen wäre, so wäre doch eine verzweiflungsvolle, dumpfe Traurigkeit in diesem dicken, fortdauernden Qualm über die unversehrten Viertel hingezogen, dessen Wolke sich immer weiter ausbreitete. Bald wurde die Sonne, die so klar aufgegangen war, von ihr verdeckt, und es blieb nur diese Trauer an dem trübroten Himmel stehen. Maurice, den seine Fieberträume wieder packten, flüsterte mit einer langsamen, den schrankenlosen Horizont umspannenden Bewegung:
    »Brennt denn alles? Ach, dauert das lange!«
    Henriette stiegen Tränen in die Augen, als wüchse ihr Elend Noch durch den Anblick all dieses gewaltigen Unheils, an dem auch ihr Bruder schuld hatte. Und Jean, der weder ihre Hand wieder zu fassen noch seinen Freund zu umarmen wagte, verließ sie mit einer wahnsinnigen Gebärde.
    »Auf Wiedersehen, bald!«
    Er konnte erst am Abend gegen acht Uhr wiederkommen, als es dunkel geworden war. Trotz seiner großen Unruhe war er glücklich: sein Regiment focht nicht mehr, sondern war in die zweite Linie zurückgezogen und hatte Befehl bekommen, gerade dies Viertel zu
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