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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition)
Autoren: Ralf Schulte
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zurück zum Sofa und ließ sich in die Kissen fallen. Links die Illustrierte, rechts der Kaffee.
„Das Licht ist wieder ausgegangen“, erklang es aus dem Flur. Kurze Zeit später: „Hey, wenn ich meinen Arm bewege, geht es wieder an.“
Sie versuchte, ihn zu ignorieren. Ihre kleine Stereo-Anlage half dabei, Robbie Williams ebenfalls. Maximilian klingelte zwar noch ein- oder zweimal, doch das war jetzt kaum zu hören. Gegen Robbies Aura kam kein Störenfried an.
Dann schlief sie ein – es musste wohl zwischen der Photoreihe über Brad Pitt und dem Artikel über künstliche Befruchtung für Single-Frauen Ende dreißig gewesen sein. Erst als Brad Pitt sich aus ihrer Umklammerung löste, über ihren Bauch nach unten rutschte und auf dem Boden zusammenklappte, wachte sie auf. Das war einer dieser Freitage, die man für gewöhnlich im Dämmerzustand verbrachte. An der Uni passierte sowieso nichts mehr, da die meisten Studenten bereits zurück nach Hause fuhren. Somit konnte sie in Ruhe die Woche ausklingen lassen.
Und dieser Rentner? Dingsbums Himmel? Vermutlich nur ein Streich oder einer dieser herumirrenden Alten, die sich über die Jahre vermehrten. Wahrscheinlich hatte sein Pfleger ihn längst gefunden, ihn nach Hause gefahren, ihm ein Bad gemacht und ihm eine heiße Tasse Tee mit Honig serviert. Ständig liefen verwirrte Menschen in ihrem Viertel umher, meistens sammelte die Polizei sie ein oder irgendein gemeinschaftlicher Dienst, der im Namen irgendeiner Kirche irgendetwas Gutes tat. Jedenfalls ging sie das alles nichts an.
    Vor ihrer Tür herrschte Stille. Zumindest, wenn man von der alltäglichen Geräuschkulisse absah, die dieses Haus umklammerte: Eine Baustelle vor der Tür, Renovierungsarbeiten im Dritten, die kreischenden Nachbarn, der Fernseher der Rentnerin am Ende des Ganges und natürlich die zwei Pudel des Architekten von gegenüber, die sich ständig jagten.
Clara blickte zur Tür. War der Rentner weg? Was, wenn sie jetzt die Tür öffnete? Er musste fort sein. Weshalb hätte er warten sollen?
Zuerst machte sie sich noch einen Kaffee, dann blätterte sie in der Fernsehillustrierten – vielleicht gab es an diesem Abend einen guten Film, den sie nur zwei- oder dreimal gesehen hatte. Da war diese Tür. Dunkelbraun. Groß. Wuchtig. Und mittendrin zielte dieser winzige Türspion auf sie. Einfach nur mal durchschauen. Bestimmt war er weg. Und wenn nicht: Er würde es nicht merken.
Sie schlenderte eine Weile durch den Raum, stellte ein paar Sachen um, räumte für Finn ein Regal leer, verschnürte eine Tüte mit Müll und kam dabei zufällig an der Haustür vorbei.
Sie schaute durch.
„Mir ist kalt! Ich friere. Ich will jetzt rein!“, hämmerte es an die Tür.
Clara erschrak und schnappte nach Luft. Wie konnte er sie sehen? Hatte er einen Röntgenblick? Dann riss sie die Tür auf.
„Was wollen Sie?“
Der Rentner kramte in der Innentasche seines Mantels, immer tiefer, bis er schließlich einen zerknitterten Brief empor zog.
„Hier, bitte!“
Sie nahm das Papier, das aus mindestens zwanzig kleinstbeschriebenen Seiten bestand. Überall prangten Stempel drauf und Paragraphen und Rechtsbehelfsbelehrungen und Unterschriften und Namen und Sachverständige und Anwälte und Pädagogen, die alle wieder Logos und Stempel und sonst was hatten – rechts oben stand ihr Name: „Clara Januszewski. Zugeteilt: Maximilan Himmel“.
„Sehen Sie“, lächelte der Rentner, „da steht’s: zugeteilt! Kann ich mal vorbei? Der Hund braucht Wasser!“
„Was wollen Sie?“
„Die Rente! Sie haben es sicherlich gehört, ist nicht mehr finanzierbar. Also muss jetzt jeder unter vierzig einen Rentner aufnehmen und sich um ihn kümmern.“
„Sie können hier nicht wohnen. Schauen Sie sich meine Wohnung an. Die ist selbst für mich zu klein.“
„Machen Sie sich keine Sorgen. In meinem Alter braucht man nicht viel Platz. Das geht schon.“
„Ich will aber nicht.“
Der Rentner zeigte wieder auf das Schriftstück und hämmerte mit seinem Zeigefinger auf die Stelle mit dem Stempel.
„Wollen Sie sich gegen das Gesetz stellen?“
Dann nahm er seinen Hund und spazierte in Claras Wohnung, drehte ein paar Runden in der Raummitte und musterte dabei die Decke.
„Sie sollten streichen.“
Dann schnupperte er, nahm ihre Kaffeetasse in die Hand, roch dran und verzog das Gesicht.
„So was kriegen Sie runter? Furchtbar!“
Clara versuchte noch immer, das Schreiben für sich zu interpretieren. Das alles ergab keinen Sinn.
„Das ist mein
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