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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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Kiste hält.« Den Rest des Abends saßen wir müßig herum. Derek redete über Billard. Viel später, als ich in mein Zimmer gehen wollte, sagte er, »Ich zeig dir diesmal, wie man eine anständige Mischung macht«, und von der Treppe aus konnte ich Julie sagen hören,
    »Am besten, du überläßt es ihm. Er mag von dir nichts gezeigt kriegen.« Derek sagte etwas, was ich nicht verstand, und lachte dann ziemlich lang vor sich hin.
      
      
10
    Es wurde wieder heiß. Am Morgen sonnte sich Julie im Steingarten, diesmal ohne ihr Radio. Tom, der zum erstenmal seit Tagen wieder seine eigenen Kleider anhatte, spielte im Garten mit seinem Freund aus dem Hochhaus. Jedesmal, wenn er etwas vorhatte, was er für besonders mutig hielt, etwa über einen Stein zu springen, wollte er, daß Julie ihm dabei zuschaute.
    »Julie, paß auf! Julie! Julie, schau!« Ich hörte seine Stimme den ganzen Morgen lang. Ich ging in die Küche, um ihnen zuzusehen. Julie lag auf einem hellblauen Handtuch und nahm von Tom keine Notiz. Ihre Haut war so dunkel, daß ich dachte, es könnte nur noch einen Tag dauern, und sie wäre schwarz. In der Küche waren mehrere Wespen und fraßen vom Abfall, der über den Boden verstreut war. Draußen schwärmte eine Wolke von Fliegen um die überquellenden Mülltonnen, die seit Wochen nicht geleert worden waren. Wir dachten zuerst an einen Streik, aber hatten nichts weiter erfahren. Ein Päckchen Butter war zu einer Lache zerschmolzen. Während ich aus dem Fenster schaute, tauchte ich meinen Finger hinein und leckte ihn ab. Heute war es zu heiß, um die Küche zu putzen. Sue kam herein und sagte, es sei schon ein Rekord, sie hätte im Radio gehört, es sei der heißeste Tag seit 1900.
    »Julie soll aufpassen«, sagte Sue und ging hinaus, um sie zu warnen. Aber Tom wie sein Freund und Julie schienen von der Hitze ganz unberührt. Sie lag ganz still da, und die beiden jagten einander im Garten und riefen einander beim Namen.
    Am späten Nachmittag ging ich mit Julie zu den Läden, um eine Packung Zement zu kaufen. Tom kam auch mit. Er blieb dicht bei Julie und hielt sich an einem Zipfel ihres weißen
    Rocks fest. Einmal mußte ich mich in den Schatten eines Buswartehäuschens flüchten, um mich von der Hitze zu erholen. Julie stellte sich vor mich in die Sonne und wollte mir mit der Hand Luft zufächeln.
    »Was ist los mit dir?« sagte sie. »Du siehst ganz schwach aus. Was hast du mit dir angestellt?« Sie erhaschte meinen Blick, und wir lachten beide. Vor dem Geschäft sahen wir unser Spiegelbild im Schaufenster. Julie schloß ihre Hand um meine und sagte, »Schau, wie blaß deine sind.« Ich zog die Hand weg, und beim Hineingehen in den Laden sprach sie streng mit mir, als wäre ich ein Kind.
    »Du mußt wirklich mal hinaus an die Sonne. Das tut dir gut.« Auf dem Heimweg dachte ich daran, daß Julie noch vor kurzem nur gesprochen hatte, wenn man sie anredete. Jetzt erzählte sie Tom aufgeregt von Zirkussen, und einmal blieb sie stehen, kniete sich zu ihm hin und wischte ihm mit einem Papiertaschentuch Eiskrem und Rotz von den Lippen.
    Als wir bei unserem Hauseingang angekommen waren, hatte ich keine Lust hineinzugehen. Julie nahm mir die Zehnpfundpackung Zement ab und sagte, »Richtig, bleib du draußen an der Sonne.« Wie ich unsere Straße hinaufging, bemerkte ich plötzlich, wie anders sie aussah. Es war kaum mehr eine Stadtstraße, vielmehr eine Landstraße über einen fast leeren Schuttplatz. Außer unserem standen nur noch zwei Häuser. Weiter vorn war eine Gruppe von Arbeitern um einen Bauwagen versammelt und machte sich für den Heimweg fertig. Der Lastwagen fuhr gerade an, als ich auf seiner Höhe war. Drei Männer standen auf der Ladefläche und hielten sich an dem Gitter über dem Führerhaus fest. Einer von ihnen sah mich und ruckte seitwärts grüßend mit dem Kopf. Als der Lastwagen dann über den Randstein hopste, zeigte der Arbeiter auf unser Haus und zuckte die Achseln. Von den Fertighäusern waren nur noch die großen Betonplatten der Fundamente übrig. Ich ging hin und stellte mich auf eine davon. Sie war durchzogen von Rillen, wo die Wände gewesen waren. In den Vertiefungen wuchs Unkraut, das wie kleiner Kopfsalat aussah. Ich lief die Linie der Wände entlang und stellte dabei einen Fuß genau vor den anderen. Dabei dachte ich, wie seltsam es war, daß eine ganze Familie in diesem Betonrechteck hatte wohnen können. Es war schwer zu sagen, ob das Fertighaus dasselbe war, das ich früher
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