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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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Armlehne nieder.
    »Abfluß?« sagte sie mehr zu sich selbst, aber wollte anscheinend nichts weiter darüber erfahren.
    »Und wie ist es dir so ergangen?« sagte Derek. Sue kicherte neuerlich und wir drehten uns alle zu ihr um. Julie deutete auf Dereks Mantel.
    »Warum hängst du den nicht auf, bevor jemand drauftritt?«
    Derek nahm den Mantel zu sich auf den Schoß und streichelte ihn.
    »Nette Mieze«, sagte er, und niemand lachte. Sue fragte Julie, ob Tom schon schlafe.
    »Sofort hinüber«, sagte Julie. Derek zog die Uhr und warf einen Blick darauf. Wir wußten alle, was er gleich sagen würde. »Bißchen früh, wie? Für Tom?« Diesmal bekam Sue einen Kicheranfall. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht und stolperte in die Küche. Wir hörten sie die Tür aufmachen und in den Garten hinausgehen. Julie war sehr kühl.
    »Eigentlich«, sagte sie, »ist es etwas später als sonst, nicht wahr, Jack?« Ich nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie spät es war.
    Julie verstrubbelte mir das Haar.
    »Hast du keine Veränderung an ihm bemerkt?« sagte sie zu Derek.
    »Sauberer und fescher«, sagte er sofort. Zu mir sagte er, »Jetzt steigen dir wohl die Damen nach, wie?« Julie legte mir die Hand auf den Kopf.
    »O nein«, sagte sie, »sowas wird hier nicht geduldet.«
    Derek lachte und zog seine Zigaretten heraus. Er bot Julie eine an und sie lehnte ab. Ich hielt mich ganz still, weil ich nicht wollte, daß sie die Hand wegtat. Zugleich merkte ich, daß ich auf Derek läppisch wirkte. Er lehnte sich im Sessel zurück, rauchte seine Zigarette, und sah uns dauernd zu. Wir hörten, wie Sue die Hintertür öffnete, aber sie blieb in der Küche. Plötzlich lächelte Derek, und ich fragte mich, ob Julie hinter mir auch lächelte. Sie standen gleichzeitig auf, ohne zu sprechen. Bevor Julie die Hand von meinem Kopf nahm, tätschelte sie ihn noch kurz.
    Sobald sie oben waren, kam Sue wieder herein und setzte sich auf die Kante von Dereks Sessel. Sie lachte nervös und sagte, »Ich weiß, woher der Geruch kommt.«
    »Von mir nicht.« Sie führte mich in die Küche und sperrte die Kellertür auf. Es war natürlich derselbe Geruch, ich erkannte ihn sofort, aber er hatte sich durch die Intensität verändert. Jetzt war er etwas von mir Getrenntes. Er hatte etwas Süßes, und jenseits davon, oder doch darin eingehüllt, war ein zweiter, dickerer, weicherer Geruch, der mir wie ein fetter Finger tief in die Kehle fuhr. Er wälzte sich aus dem Dunkel die Betonstufen herauf. Ich atmete durch den Mund.
    »Los«, sagte Sue, »geh runter. Du weißt, was es ist«, und sie drehte das Licht an und schubste mich im Kreuz.
    »Nur, wenn du mitkommst«, sagte ich. Von irgendwo auf dem Gang zwischen dem Treppenende und dem hintersten Raum kam ein raschelndes Geräusch. Sue trat in die Küche zurück und holte sich eine Spielzeugtaschenlampe aus Plastik, die Tom gehörte. Sie war geformt wie ein Fisch. Das Licht kam aus dem Maul und war sehr schwach. Ich sagte, »Es ist hell genug. Wir brauchen das nicht.« Aber sie stieß mir damit in den Rücken.
    »Los, du wirst schon sehen«, flüsterte sie.
    Unten auf der Treppe blieben wir stehen und machten eine weitere Reihe Lichter an. Sue hielt sich ein Taschentuch vor die Nase und ich deckte mir das Gesicht mit den Hemdzipfeln zu. Die Tür hinten am Gang stand halb offen. Von drinnen hörten wir die raschelnden Geräusche wieder.
    »Ratten«, sagte Sue. Als wir bei der Tür waren, wurde es plötzlich still im Raum und ich blieb stehen.
    »Stoß sie auf«, sagte Sue durch ihr Taschentuch. Ich bewegte mich nicht, aber da ging die Tür von selber auf. Ich schrie auf, trat zurück und sah, daß meine Schwester in der Nähe der Angeln mit dem Fuß dagegendrückte. Die Kiste sah aus, als sei etwas dagegengestoßen. In der Mitte wölbte sie sich ganz weit vor. Die Oberfläche des Zements war von einem riesigen Spalt durchzogen, an einigen Stellen bis zu einem Zentimeter breit. Sue wollte, daß ich hineinsah. Sie drückte mir die Taschenlampe in die Hand, deutete, und sagte etwas, was ich nicht verstand. Als ich den Spalt entlangleuchtete, erinnerte ich mich an die Zeit, als Commander Hunt und seine Mannschaft im Tiefflug die Oberfläche eines unbekannten Planeten überquert hatten. Tausende von Meilen flacher, hartgebackener Wüste, nur von großen Rissen durchbrochen, die durch Erdbeben entstanden waren.
    Nicht ein Berg oder Baum oder Haus, und kein Wasser. Kein Wind, weil es keine Luft gab. Sie flogen ohne
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