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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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ihr und mir.
    »Was für eine Rasse?«
    »Ach, weißt du«, sagte Julie, »alles mögliche auf einmal.« Ich setzte hinzu, »Aber hauptsächlich ein Neufundländer«, und ganz kurz schien von irgendwoher ein Hund seine eingesunkenen Augen zu meinen zu erheben. Ich schüttelte den Kopf.
    »Macht es dir was aus, darüber zu reden?« fragte Derek.
    »Nein.«
    »Wie bist du daraufgekommen, sie dort hinunterzutun?« »Irgendwie um sie zu konservieren. Wie die Ägypter.« Derek nickte kurz, als sei damit alles geklärt.
    Gerade da kam Tom herein, rannte zu Julie und hängte sich ihr ans Bein. Wir bewegten uns auseinander, um den Kreis ein wenig zu erweitern. Derek wollte Tom an den Kopf fassen, aber Tom schob seine Hand weg, und Derek verschüttete etwas Tee auf den Boden. Er starrte einen Augenblick lang die Spritzer an und sagte, »Hast du Cosmo gern gemocht, Tom?« Tom klammerte sich weiter an Julies Bein, lehnte sich zurück, um Derek zu betrachten und lachte, als wäre das ein stehender Witz zwischen ihnen.
    »Du weißt doch noch, Cosmo, unser Hund«, sagte Julie rasch zu ihm.
    Tom nickte.
    Derek sagte, »Ja, Cosmo. Warst du traurig, wie sie gestorben ist?«
    Tom warf sich wieder nach hinten und starrte diesmal zu seiner Schwester hinauf.
    »Du bist auf meinem Schoß gesessen und hast geweint, weißt du nicht mehr?«
    »Doch«, sagte er schalkhaft. Wir alle beobachteten Tom genau.
    »Ich habe geweint, oder?« sagte er zu Julie.
    »Genau, und ich habe dich in dein Bett hinaufgetragen, weißt du noch?« Tom lehnte den Kopf an Julies Bauch und schien tief nachzudenken. Ängstlich bestrebt, Tom von Derek wegzubringen, stellte Julie ihre Tasse ab und ging mit Tom in den Garten. Als sie durch die Tür gingen, sagte Tom laut, »Ein Hund!«, und lachte höhnisch.
    Derek klapperte mit den Autoschlüsseln in seiner Hosentasche. Julie machte mit Tom einen Wettlauf quer durch den Garten, und wir schau ten ihnen beide durchs Fenster zu. Sie sah so schön aus, als sie sich umdrehte und Tom anfeuerte, daß es mich störte, ihren Anblick mit Derek zu teilen. Ohne sich vom Fenster abzuwenden, sagte er versonnen, »Ich wollte, ihr würdet mir alle nun, ein bißchen mehr vertrauen.« Ich gähnte. Sue, Julie und ich hatten die Hundegeschichte nicht untereinander abgesprochen. Wir hatten mit Derek sehr wenig aufgepaßt. Was im Keller war, schien oft nicht wirklich genug, als daß man es vor ihm verbergen mußte. Wenn wir nicht tatsächlich dort unten waren und die Kiste anschauten, war es, als schliefen wir. Derek zog seine Uhr.
    »Ich muß zu einem Spiel. Bis später am Abend vielleicht.« Er trat hinaus und rief Julie etwas zu, die ihr Spiel mit Tom nur kurz unterbrach, um ihm zu winken und eine Kußhand zuzuwerfen. Er wartete noch einen Moment, bevor er ging, aber sie hatte sich schon umgedreht.
    Ich ging auf mein Zimmer, zog Schuhe und Socken aus und legte mich aufs Bett. Durchs Fenster konnte ich ein klares Viereck blaßblauen Himmels sehen, ohne eine einzige Wolke. Nach weniger als einer Minute setzte ich mich auf und schaute um mich her. Auf dem Boden lagen Coca-Cola-Dosen, schmutzige Kleider, Fish-and-Chips-Tüten, mehrere Drahtkleiderbügel, eine Schachtel, in der Gummibänder gewesen waren. Ich stand auf und sah mir an, wo ich gelegen hatte, die Falten und Knitter in den gelbgrauen Laken, große Flecken mit scharfen Rändern. Ich war am Ersticken. Alles, was ich anschaute, erinnerte mich an mich selbst. Ich machte die Türen meines Schranks weit auf und warf den ganzen Schutt vom Boden hinein. Ich zerrte die Laken, Wolldecken und Kissen vom Bett und tat sie auch in den Schrank. Ich riß die Bilder, die ich früher einmal aus Illustrierten ausgeschnitten hatte, von der Wand. Unter dem Bett entdeckte ich mit grünem Schimmel überwachsene Teller und Tassen. Ich nahm jeden losen Gegenstand und verstaute ihn im Kleiderschrank, bis das Zimmer kahl war. Ich nahm sogar die
    Glühbirne und den Lampenschirm ab. Dann zog ich mir die Kleider aus, warf sie hinein und schloß die Türen. Das Zimmer war leer wie eine Zelle. Ich legte mich wieder aufs Bett und starrte mein Stück klaren Himmel an, bis ich einschlief.
    Es war dunkel und kalt, als ich aufwachte. Mit geschlossenen Augen tastete ich nach der Bettdecke. Ich hatte eine verworrene Erinnerung daran, wie ich im Fertighaus lag. War ich noch dort? Ich hatte keine Ahnung, wieso ich auf einmal nackt auf einer unbezogenen Matratze lag. Jemand weinte. War ich es? Ich kniete mich aufs Bett,
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