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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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schlossen sich fest, und zugleich wurde sein Atem tief und rhythmisch. Ich sah ihm ungefähr eine Minute lang zu, bis ich durch ein Geräusch merkte, daß auch mir jemand von der Türöffnung her zusah.
    »Schau dir das an«, flüsterte Julie zu sich selbst, während sie durch das Zimmer ging. »Schau dir die an.« Sie gab mir einen Puff gegen die Schulter und legte sich die Hand auf den Mund, um ihr Gelächter zu ersticken.
    »Zwei nackte Babys!« Sie hob die Seite des Bettes an, verriegelte sie, lehnte sich auf den Ellbogen über das Gitterbett und lächelte mich voll Freude an. Sie hatte das Haar hochgesteckt, und lange feine Strähnen kräuselten sich bei ihren Ohren, an denen Ohrringe mit bunten Glasperlen hingen.
    »Du süßer kleiner Liebling.« Sie streichelte mir den Kopf. Ihre weiße Baumwollbluse war bis zur Wölbung ihrer Brüste aufgeknöpft, und ihre Haut war von tiefem, stumpfem Braun. Sie preßte die Lippen zusammen, aber ihr Lächeln zog sie immer wieder auseinander. Der süße und scharfe Geruch ihres Parfüms hüllte mich ein, und ich saß dümmlich grinsend da und starrte ihr in die Augen. Ich dachte daran, aus Spaß den Daumen in den Mund zu stecken, und hob die Hand zum Gesicht.
    »Nur zu«, ermunterte sie mich, »hab keine Angst.« Von dem faden Geschmack meiner eigenen Haut kam ich wieder zu mir.
    »Ich geh raus hier«, sagte ich, und wie ich mich hochkniete, zeigte Julie durch die Gitter auf mich.
    »Schau! Es ist schon groß!« und sie lachte und tat so, als wollte sie mich packen.
    Ich kletterte über die Seite, und als Julie Tom zudeckte, schlüpfte ich auf die Tür zu, und bedauerte schon, daß ich unsere Szene abgebrochen hatte. Julie hielt mich am Arm auf und führte mich zum Bett hin.
    »Geh noch nicht«, sagte sie. »Ich möchte mit dir reden.« Wir saßen einander gegenüber. Julies Augen hatten einen wilden, leuchtenden Blick. »Du siehst schön aus ohne Kleider«, sagte sie. »Rosa und weiß wie eine Eisportion.« Sie faßte mich an den sonnverbrannten Arm. »Tut er weh?«
    Ich schüttelte den Kopf und sagte, »Und was ist mit deinen Kleidern?« Sie zog sich flink aus. Als ihre Kleider in einem Häufchen zwischen uns auf dem Bett lagen, nickte sie zu Tom hin und sagte, »Was meinst du? Meinst du nicht, er ist glücklich?« Ich sagte »Doch« und erzählte ihr, was er mir gesagt hatte. Julie riß in gespielter Überraschung den Mund auf.
    »Derek weiß es schon ewig. Wir haben das Geheimnis nicht sehr geschickt gehütet. Was ihn stört ist, daß wir ihn nicht einweihen.« Sie kicherte in die vorgehaltene Hand. »Er fühlt sich ausgeschlossen, wenn wir ihm immer erzählen, es wäre ein Hund.« Sie rückte etwas näher zu mir und schlang sich die Arme um den Leib. »Er will mit von der Familie sein, du weißt schon, der große kluge Daddy. Er geht mir allmählich auf die Nerven.«
    Ich faßte sie am Arm, wie sie mich zuvor angefaßt hatte. »Jetzt, wo er es weiß«, sagte ich, »können wir es ihm gradesogut auch sagen. Ich komme mir auch leicht dämlich vor mit dem ewigen Hund.« Julie schüttelte den Kopf und schlang ihre Finger um meine.
    »Er will alles in die Hand nehmen. Er redet dauernd davon, daß er bei uns einziehen will.« Sie machte breite Schultern und streckte die Brust heraus. »Was ihr vier braucht, ist jemand, der für euch sorgt.« Ich nahm Julies andere Hand, und wir rückten zusammen, bis sich unsere Knie berührten. Aus dem Gitterbett, das direkt neben uns stand, murmelte Tom im Schlaf und schluckte laut. Julie sprach jetzt flüsternd.
    »Er wohnt mit seiner Mammi in so einem kleinen Haus. Ich bin mal dagewesen. Sie nennt ihn Tüttelchen und will, daß er sich vor dem Tee die Hände wäscht.« Julie löste ihre Hände von meinen und legte sie mir seitlich aufs Gesicht. Sie warf einen Blick nach unten zwischen meine Beine. »Sie hat mir erzählt, sie bügelt ihm fünfzehn Hemden die Woche.«
    »Das ist eine ganze Menge«, sagte ich. Julie quetschte mir das Gesicht zusammen, daß mein Mund wie ein Vogelschnabel vorstand.
    »So hast du früher immer ausgesehen«, sagte sie, »und jetzt siehst du so aus.« Sie ließ die Hände los. Ich wollte, daß wir weiterredeten.
    Ich sagte, »Du bist schon lange nicht mehr laufen gegangen.«
    Julie streckte ein Bein aus und legte es mir übers Knie. Wir sahen es beide an, als wäre es ein Schoßhund. Ich faßte den Fuß mit beiden Händen.
    »Vielleicht laufe ich ein bißchen im Winter«, sagte Julie.
    »Gehst du wieder zur
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