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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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vielleicht?«
    »Woher soll ich das wissen?« Wir schwiegen wieder. Dann sagte Sue, »Weil du mehr mit ihr redest wie wir.«
    Mit Julies Ärger wuchs ihr Schweigen. Sie stand auf, und als sie das Zimmer durchquert hatte, drehte sie sich in der Tür um und sagte ruhig, »Nur weil ihr zwei nichts mit ihr zu tun haben wollt!« Sie blieb in der Tür stehen, wartete auf eine Antwort, und dann ging sie und hinterließ einen sehr schwachen Duft von Parfüm.
    Am nächsten Tag, nach der Schule, sagte ich zu meiner Mutter, ich wollte mit ihr einkaufen gehen.
    »Es gibt nichts Besonderes zu tragen«, sagte sie. Sie stand in der düsteren Diele und band sich vor dem Spiegel ihren Schal um.
    »Spaziergang würde mir nicht schaden«, murmelte ich.
    Wir gingen schweigend ein paar Minuten, dann hängte sie sich bei mir ein und sagte zu mir, »Bald hast du Geburtstag.«
    Ich sagte, »Ja, ziemlich bald.«
    »Ist es nicht aufregend, fünfzehn zu werden?«
    »Weiß nicht«, sagte ich.
    Während wir in einer Apotheke auf ein Rezept für meine Mutter warteten, fragte ich sie, was der Arzt gesagt hätte. Sie sah sich gerade eine Geschenkpackung mit einem Stück Seife und einer Plastikschale an. Sie legte sie zurück und lächelte fröhlich.
    »Ach, die reden alle Unsinn. Für mich sind die erledigt.« Sie nickte mit dem Kopf zur Medikamentenausgabe hin. »Solang ich nur meine Tabletten kriege.«
    Ich war erleichtert. Endlich kam das Medikament in einer schweren braunen Flasche, die ich tragen wollte.
    Auf dem Heimweg schlug sie vor, wir könnten zu meinem Geburtstag eine kleine Party machen, zu der ich ein paar Schulfreunde einladen durfte. »Nein«, sagte ich sofort. »Lieber nur die Familie.« Auf dem restlichen Heimweg machten wir Pläne und waren beide froh, daß wir endlich einen Gesprächsstoff hatten. Meine Mutter erinnerte sich an eine Party zu Julies zehntem Geburtstag. Ich erinnerte mich auch noch, ich war damals acht. Julie weinte, weil ihr jemand weisgemacht hatte, nach dem zehnten gäbe es keine Geburtstage mehr. Eine Zeitlang war das ein Familienwitz. Keiner erwähnte, wie mein Vater in diese und alle andern Parties eingegriffen hatte, an die ich mich erinnern konnte. Er stellte die Kinder gern in ordentlichen Reihen auf, wo sie still warten sollten, bis sie in irgendeinem Spiel, das er vorbereitet hatte, dran waren.
    Lärm und Chaos, Kinder, die ziellos rumwimmelten, irritierten ihn zutiefst. Es hatte noch nie einen Geburtstag gegeben, wo ihm nicht wegen jemand die Nerven durchgegangen wären. Bei der Party zu Sues achtem Geburtstag wollte er sie ins Bett schicken, weil sie herumalberte. Mutter mischte sich ein, und danach gab es keine Feste mehr. Für Tom hatte es noch nie eines gegeben. Als wir an die Gartentür kamen, waren wir wieder verstummt. Während sie in der Handtasche nach dem Hausschlüssel kramte, fragte ich mich, ob sie froh war, daß wir diesmal ohne ihn feierten.
    Ich sagte, »Schade, daß Daddy nicht.«, und sie sagte, »Der Arme. Er wäre so stolz auf dich gewesen.«
    Zwei Tage vor meinem Geburtstag legte sich meine Mutter ins Bett.
    »Ich stehe schon rechtzeitig wieder auf«, sagte sie, als Sue und ich zu ihr hineingingen. »Ich bin nicht krank, nur sehr, sehr müde.« Noch während sie sprach, waren ihre Augen kaum geöffnet. Sie hatte bereits einen Kuchen gebacken und mit konzentrischen roten und blauen Kreisen glasiert. Genau in der Mitte stand eine einzelne Kerze. Tom fand das komisch.
    »Du bist gar nicht fünfzehn«, schrie er. »Du wirst erst eins an deinem Geburtstag.«
    Am frühen Morgen kam Tom in mein Zimmer und sprang auf mein Bett.
    »Wach auf, wach auf, du bist eins heute.«
    Beim Frühstück überreichte mir Julie kommentarlos ein kleines Ledertäschchen mit einem Metallkamm und einer Nagelschere. Sue schenkte mir einen Science-Fiction-Roman. Auf dem Umschlag war ein großes Monster mit Fangarmen dabei, ein Raumschiff zu verschlingen, dahinter war ein schwarzer, von strahlenden Sternen durchbohrter Himmel. Ich ging mit einem Tablett zu Mutters Zimmer hinauf. Als ich eintrat, lag sie auf dem Rücken, mit offenen Augen. Ich setzte mich auf die Bettkante und balancierte das Tablett auf den Knien. Sie saß auf Kissen gestützt da und trank ihren Tee in kleinen Schlucken. Dann sagte sie, »Alles Gute zum Geburtstag, mein Sohn. Ich kann morgens nicht sprechen, eh ich nicht etwas getrunken habe.«
    Wir umarmten uns ungeschickt über der Teetasse, die sie weiter in der Hand hielt. Ich öffnete das
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