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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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Kuvert, das sie mir gab. In der Geburtstagskarte lagen zwei Pfundnoten. Auf der Karte war ein Stilleben fotografiert, mit einem Globus, einem Stoß ledergebundener Bücher, Angelzeug und einem Kricketball. Ich umarmte sie nochmals und sie sagte »Hoppla«, als die Tasse im Unterteller wackelte. Wir saßen eine Weile da, und sie drückte meine Hand. Ihre eigene war gelblich und dürr, wie ein Hühnerfuß, dachte ich.
    Ich lag den ganzen Vormittag im Bett und las das Buch, das Sue mir geschenkt hatte. Es war der erste Roman, den ich ganz durchlas. Winzige lebentragende Sporen, die in Wolken durch Galaxien trieben, waren von den speziellen Strahlen einer sterbenden Sonne angestrahlt und zu einem riesigen Ungeheuer ausgebrütet worden, das Röntgenstrahlen ausschied und die reguläre Raumfahrt zwischen der Erde und dem Mars bedrohte. Es war die Aufgabe von Commander Hunt, dieses Biest nicht nur zu vernichten, sondern auch seine riesige Leiche zu beseitigen.
    »Es für immer durch das All treiben zu lassen«, erklärte ein Wissenschaftler Hunt bei einer ihrer zahlreichen Lagebesprechungen, »würde nicht nur eine Kollisionsgefahr darstellen, sondern wer weiß, was andere kosmische Strahlen anrichten würden in seinem verfaulten Rumpf? Wer weiß, welche monströsen Mutationen dieser Kadaver noch gebiert?«
    Als Julie ins Zimmer kam und mir sagte, Mutter würde nicht aufstehen, und wir könnten den Kuchen bei ihr am Bett essen, war ich so vertieft, daß ich sie verständnislos anstarrte.
    »Tu ihr doch den Gefallen«, sagte Julie beim Hinausgehen, »und mach dich wenigstens dies eine Mal sauber.«
    Am Nachmittag trugen Tom und Sue den Kuchen und die Tassen nach oben. Ich sperrte mich ins Bad ein und stellte mich vor den Spiegel. Ich gehörte nicht zu denjenigen, die Commander Hunt an Bord seines Raumschiffes gelassen hätte. Ich wollte mir einen Bart stehen lassen, um meine Haut zu verdecken, aber jedes der spärlichen Haare lenkte den Blick wie ein deutender Finger auf den Pickel an seiner Wurzel. Ich ließ das Waschbecken mit heißem Wasser vollaufen und stützte mich mit meinem ganzen Gewicht auf meine eingetauchten Handflächen am Grund des Beckens. Ich ließ so oft eine halbe Stunde verstreichen, zum Spiegel hingelehnt, die Hände und Handgelenke im heißen Wasser. Näher als das kam ich dem Waschen nie. Ich verfiel stattdessen immer in Tagträume, diesmal von Commander Hunt. Als das Wasser nicht mehr heiß war, trocknete ich mir die Hände ab und nahm das kleine Lederetui aus der Hosentasche. Ich schnitt mir die Fingernägel und kämmte mein dünnes braunes Haar, wobei ich mit verschiedenen Frisuren experimentierte und am Ende beschloß, meinen Geburtstag mit einem Mittelscheitel zu feiern.
    Als ich in Mutters Schlafzimmer trat, fing Sue an, »Happy Birthday« zu singen, und die andern fielen ein. Der Kuchen stand auf dem Nachttisch, und die Kerze brannte schon. Meine Mutter lag ausgestreckt, von Kissen umgeben, und obwohl sie zu dem Lied die Lippen bewegte, konnte ich ihre Stimme nicht heraushören. Als sie fertig waren, blies ich die Kerze aus, und Tom tanzte vor dem Bett herum und rief im Singsang, »Du bist eins, du bist eins«, bis Julie ihn zum Schweigen brachte.
    »Du siehst aber fesch aus«, sagte meine Mutter. »Hast du dich gebadet?«
    »Ja«, sagte ich und schnitt den Kuchen an.
    Sue goß Orangensaft in die Teetassen, den sie, wie sie sagte, aus vier Pfund echten Orangen gepreßt hatte.
    »Alle Orangen sind doch echt, oder, Mammi?« sagte Tom.
    Wir lachten, und Tom, von sich selbst begeistert, wiederholte die Bemerkung noch ein paarmal, aber mit nachlassendem Erfolg. Es war eigentlich kaum eine Party, und ich wurde ungeduldig und wollte zu meinem Buch zurück. Julie hatte vier Stühle in einem flachen Halbkreis vor der einen Bettseite aufgestellt, auf denen wir nun saßen, am Kuchen knabberten und den Saft nippten. Mutter aß und trank nichts. Julie wollte, daß etwas passierte, wir sollten unterhaltsam sein.
    »Erzähl uns einen Witz«, sagte sie zu Sue, »den von gestern.«
    Als Sue den Witz erzählt, und Mutter gelacht hatte, sagte Julie zu Tom, »Zeig uns, wie du ein Rad schlagen kannst.«
    Wir mußten die Stühle und Teller wegräumen, damit Tom auf dem Fußboden herumalbern und kichern konnte. Nach einer Weile sagte Julie, er solle aufhören, und wandte sich dann mir zu.
    »Sing uns doch ein Lied vor.«
    Ich sagte, »Ich kann kein Lied.«
    »Doch kannst du welche«, sagte sie. »Wie wär’s mit
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