Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Autoren: Laurence Cossé
Vom Netzwerk:
dem Wald trat, versteckte sie sie unter dem Parka und behielt sie dort, bis sie ihren Wagen erreicht hatte.

5
    S chon am 16., dem Tag nach dem Unfall, konnte man Arthur Montbrun die Wahrheit sagen, denn es gab beruhigende Neuigkeiten. Seine Mutter hatte zwei gebrochene Rippen, ein kaputtes Brustbein und einen Pneumothorax, der einen Eingriff erforderlich gemacht hatte, aber es würde nichts zurückbleiben. In zwei Wochen würde sie nach Hause zurückkehren können. Und sein Vater würde noch am selben Abend auf dem Flughafen Nantes ankommen, sodass die vier kleinen Montbruns nur eine einzige Nacht außerhalb ihres Heims hatten zubringen müssen.
    Es war nach wie vor unerklärlich, wie Anne-Marie Montbrun von der Straße abgekommen war. Die Gendarmen verbrachten am 15., direkt nach dem Unfall, zwei volle Stunden damit, die Kurve abzusuchen, fanden jedoch nichts, was die Fahrerin vom Weg hätte abbringen können.
    Der Asphalt war trocken. Man sah keine Spur abrupten Bremsens, auch sonst kein verräterisches Indiz, keine Ölpfütze, keinen Kuhfladen, keinen glitschigen Pferdeapfel eines dieser besonderen Rösser, für die der Kanton berühmt war.
    »Vielleicht lief ein Wildschwein über die Straße?«, wagte sich Nicos Hariri vor, ein dunkelhaariger Polizeianwärter, der von allen wegen seiner großen Ähnlichkeit mit Nicolas Sarkozy statt Nicos immer nur Nicolas gerufen wurde.
    »Warum nicht gleich ein Zehnender«, fauchte Oberst de Billepint, der gerade ebenfalls Rot- oder Schwarzwild ins Gespräch hatte bringen wollen und damit nun zu spät kam.
    Der Leiter der chirurgischen Abteilung, in die Anne-Marie aufgenommen worden war, ließ Billepint drei Stunden warten, bevor er ihm erlaubte, das Unfallopfer zu vernehmen. In ihrem großen weißen Nachthemd mit Spitzenkragen und mit den wie ein Heiligenschein über das Kopfkissen verteilten Locken sah die junge Frau aus wie eine lädierte Puppe. Ihr Mann war bei ihr. Er stand auf, als der Gendarmerieoffizier eintrat. Doch Anne-Marie hielt ihn an der Hand zurück.
    »Bleib hier. Ich werde dem Oberst nichts anderes sagen als das, was ich dir seit achtundvierzig Stunden erzähle.«
    Der Anwärter, der nicht Nicolas hieß, hatte gar nicht so weit danebengelegen, wie Billepint zugeben musste. Es war kein über die Straße wechselndes Wildschwein gewesen, dem Anne-Marie hatte ausweichen müssen, indem sie geradeaus auf den Abhang zufuhr, sondern ein quer gestellter Wagen. Ein leerer Wagen, wie sie betonte. Kein Fahrer, kein Beifahrer, niemand in der Nähe. »Als ich den Hang hinunterpurzelte, hatte ich nur dieses Bild im Kopf: ein Geisterwagen. Sie werden mich für dumm halten, aber es hat mir eine Heidenangst eingejagt.«
    Eine große Limousine, dunkelblau oder schwarz, sagte Anne-Marie. Vielleicht ein bisschen altertümlich, so wie ein Peugeot von vor fünfzehn oder zwanzig Jahren. Aber genauer konnte und wollte sie den Wagen nicht beschreiben. Solche Dinge dauern nur wenige Sekunden. Sie konnte für nichts die Hand ins Feuer legen, nur dafür, dass weder im Auto noch in seiner Nähe ein Mensch zu sehen gewesen war.
    Montbrun begleitete Billepint zum Aufzug und sagte ihm unter vier Augen: »Ich bin nicht sicher, dass meine Frau ihre fünf Sinne schon wieder beieinanderhat. Ein leerer Wagen mitten in der Kurve, das ist wenig glaubwürdig. Vor allem, wenn sich der Wagen dann sofort in Luft auflöst und niemand ihn gesehen hat.«

6
    E s kam selten vor, dass Armel schlechter Laune war. Fast hätte Maïté ihn gefragt: »Was ist denn los, was hast du?« Doch sie beschloss, ihn nicht auf seine düstere Miene anzusprechen, sondern wie geplant ein paar Sachen fürs Mittagessen einzukaufen.
    »Worauf hättest du Lust heute Mittag?«, fragte sie von der Tür her und bemühte sich um einen liebenswürdigen Ton, damit die Atmosphäre sich ein wenig entspannte.
    »Ist mir wurscht«, antwortete Armel.
    Maïté war eher erstaunt als verletzt. Armel wurde nie grob, allerhöchstens, wenn es nötig war, schriftlich, und auch dann in genau abgewogenem Maß. Übrigens nahm er es auch sofort zurück.
    »Verzeih, Maïté. Nimm, was du magst.«
    »Muscheln?«
    »Ja, sehr gut, Muscheln«, antwortete Armel mechanisch. »Jaja, sehr gut, sehr gut.«
    Auch das ist nicht sein Stil, so viele überflüssige Wiederholungen, dachte Maïté, als sie im Fischgeschäft anstand. Armel hatte es ihr oft gesagt, es gibt nichts Schwierigeres als den richtigen Umgang mit Wiederholungen. Wenn man es falsch macht, wirkt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher