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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Autoren: Laurence Cossé
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Umschweife.
    »Für Alkohol und Frauen, aber soweit ich weiß, mit klarer Präferenz für den Alkohol«, sagte Suzon mit leichter Bitterkeit.
    »Gestatten Sie?« Dr. Clair zog ein Handy aus der Tasche. »Ich kann ihn jetzt nicht mehr hierlassen.«
    Doch Suzon legte ihm die Hand auf den Arm.
    »Einen Moment noch. Es gibt hier zu viel, was ich nicht begreife. Ich habe den Eindruck, ich bin die Einzige, die nicht weiß, was er hat. Was ist ihm zugestoßen? Gestern bin ich Käse kaufen gegangen, und die Leute haben mich gefragt, wie es ihm geht. Das ganze Dorf scheint Bescheid zu wissen. Das passt nicht zu Paul.«
    Der Arzt erzählte ihr die Geschichte, die man ihm erzählt hatte: wie Néon zu einer Zeit, zu der normale Leute ihren Mittagsschlaf halten, aus dem Wald getorkelt sei, vergeblich versucht habe, seine Hütte zu erreichen, und schließlich vor dem Alpette zusammengebrochen sei, völlig durchnässt, durchgefroren und mit hohem Fieber.
    »Durchnässt?«, hakte Suzon nach.
    »Durchnässt und voller Erde«, bestätigte Dr. Clair. »Wie einer, der die Nacht draußen verbracht hat, so wurde es mir von den Frauen hier beschrieben. Ich meine: irgendwo in freier Natur.«
    »Ja«, meinte Suzon. »Wie einer, der den Weg nach Hause nicht mehr finden konnte, als er abends aus der Kneipe kam.«
    Paul war eingeschlafen. Der Arzt tippte eine Nummer ein. Dann sagte er eine Reihe seltsamer Wörter ins Telefon, die Suzon irgendwie griechisch vorkamen.
    »Eher Lyon?«, hörte sie ihn abschließend auf Französisch nachfragen. »Lyon wäre also besser?«
    Er steckte sein Telefon wieder ein.
    »Er muss ins Krankenhaus«, sagte er. »Solche Sachen können sehr schnell sehr übel verlaufen. In Lyon haben sie eine bedeutende hämatologische Abteilung, der Ärztenotdienst fragt nach, ob sie Platz haben.«
    Das Telefon klingelte. Danach telefonierte Dr. Clair noch zweimal, mit dem Krankentransportunternehmer und mit seiner Frau.
    »Der Krankenwagen kommt in etwa einer Viertelstunde«, sagte er zu Suzon. »Ich warte hier mit Ihnen. Ich bin mir nicht sicher, dass sich Monsieur Néon so ohne Weiteres mitnehmen lässt.« Er schwieg zehn Sekunden und sagte dann in weniger ärztlichem Ton: »Habe ich richtig gehört? Haben Sie eben von Käse gesprochen? Ich muss gestehen, ich komme um vor Hunger.«
    Es war halb eins. Suzon und Parfait Clair machten sich an einer Ecke des Tischs, die sie hatten freiräumen können, über den Beaufort her. Hinten im Raum standen etwa hundert volle und leere Flaschen in einem Regal, doch sie hatten beide keine Lust auf Wein. Parfait Clair sah Suzon an und dachte, »pummelig« sei doch ein sehr unschönes Wort für eine so hübsche Erscheinung.
    »Sagen Sie mal«, erkundigte er sich, »was macht Monsieur Néon eigentlich?«
    »Derzeit nicht mehr allzu viel, soweit ich weiß. Es wird Ihnen sicher schon klar sein, dass ich nicht viel über Paul weiß. Er ist außerordentlich gebildet und kultiviert. Unter Leuten seines Schlages genießt er einen gewissen Ruf, aber unter einem anderen Namen als Néon. Nun ja, sehr anders ist der Name nicht. Das heißt doch, ziemlich anders: Néant wie das Nichts. Der Name ist ihm lieber. In meiner Gegenwart hat er sich immer nur unter diesem Namen vorgestellt. Aber wovon er lebt, ist ein Geheimnis. Als ich ihn vor zweieinhalb Jahren kennenlernte, leitete er eine kleine Theatertruppe in Vizille. Er machte alles, Inszenierung, Regie, Licht, er übersetzte Shakespeare neu und schrieb giftgetränkte Artikel in sehr kleinen Zeitschriften. Schon damals fragten wir uns, wovon er wohl lebte.
    Wir führten Coriolanus auf, und das Stück fiel völlig durch. Ich glaube, Paul wurde vorher subventioniert, aber nach dieser Katastrophe nicht mehr. Danach hat er, soweit ich weiß, in Val-d’Isère einen Filmclub gegründet, der mehr oder weniger von der Gemeinde finanziert wurde. Die Filme wurden im örtlichen Festsaal gezeigt. Das war gar nicht so dumm, wenn man bedenkt, wie viele Leute von Anfang Dezember bis Ende April da oben sind. Aber die Urlauber wollten lieber die neuesten Schnulzen im gut geheizten Multiplex sehen. Weil sie da nach dem Skifahren besser schlafen konnten, meinte Paul.
    Er war schon vorher nicht gerade von sonniger Gemütsart. Aber jetzt wurde ein echter Menschenfeind aus ihm. Er hat sowohl unters Theater als auch unters Kino einen Schlussstrich gezogen und sich hier in diesem Nest vergraben. Soweit ich informiert bin, hat er keine Einkünfte. Ich frage mich, wie er die Miete
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