Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Autoren: Laurence Cossé
Vom Netzwerk:
für diese Hütte und seine tägliche Milch«, sie deutete mit dem Kinn auf das Regal voller Flaschen, »bezahlen kann.«
    Sie schwiegen beide eine Weile.
    »Die Hütte ist nicht schlecht«, sagte Clair schließlich.
    »Finden Sie?« Suzons Stimme klang belegt.
    Das Eintreffen des Krankenwagens setzte diesem neuen Kapitel ihres Gesprächs ein Ende.
    Paul wütete, allerdings flüsternd, was seltsam kratzig klang.
    »Ich habe nicht meine Zustimmung gegeben«, keuchte er.
    »Ich habe Sie nicht darum gebeten«, erwiderte Parfait Clair ruhig, aber bestimmt und beendete damit die Diskussion.
    Paul konnte sich nicht auf den Beinen halten, was die Sache erleichterte.
    »Muss ich ihn nach Lyon begleiten?«, fragte Suzon, als er hinausgetragen wurde. »Offen gesagt, war ich nicht darauf gefasst, heute in Les Crêts zu sein, ich muss noch die Buchführung für letzte Woche machen.«
    »Keine Sorge«, sagte Clair. »Ich kenne Alain N’Guyen, den Krankenwagenfahrer, sehr gut. Man kann ihm vertrauen. Ich werde ihm alles aufschreiben, Krankenhaus, Station und den Namen des Arztes, der heute Nachmittag Dienst hat. Es wird keine Probleme geben. Monsieur Néon ist zu irgendwelchen Protesten nicht imstande, das haben Sie ja gesehen. Heute Nacht wird er noch keinen Aufstand machen. Meiner Meinung nach wird er sich auch in den nächsten zehn oder vierzehn Tagen nicht auf den Beinen halten können. Ich rufe heute Abend in Lyon an, um zu hören, ob man sich gut um ihn kümmert. Und wir beide bleiben natürlich in Kontakt. Sie sind Buchhalterin?«
    »Nein«, erwiderte Suzon. »Elektriker.«
    »Elektriker?«, wiederholte Clair.
    »Sie haben doch wohl schon mal einen Elektriker gesehen?«
    »Ja, aber noch nie einen so hübschen.«
    »Da hätten wir mal wieder einen Macho!«, knurrte Suzon.
    »Üben Sie diesen Beruf schon lange aus?«, fragte Clair.
    »Bald zehn Jahre. Von der Ausbildung her bin ich Semiologin. Genauer gesagt Semasiologin. Doch wenn man mit der Semasiologie seinen Lebensunterhalt bestreiten will … Das ist wie die Semiologie ganz allgemein: keine Stellen, dürftig bezahlte befristete Aushilfsjobs. Ich erspare Ihnen die einzelnen Schritte meiner Umschulung. Für mich war es ohnehin nur die Rückkehr zur Familientradition. Mein Vater ist Elektriker. Mit neun Jahren habe ich in der Garage meiner Großmutter ganz allein die Elektroinstallationen verlegt. Ich hatte nicht allzu viele Probleme, mir einen Kundenkreis aufzubauen, ich habe eben immer und überall ›S. Petitbeurre‹ geschrieben, nie Suzon.«
    Nachdem erst der Krankenwagen und dann der Arzt weggefahren waren, ging Suzon zurück in die Hütte, um ihre Tasche und ihren Parka zu holen. Sie drehte die Heizung niedriger, aß im Vorübergehen den Käse auf und schloss, noch kauend, von außen zweimal ab. Dann blieb sie einige Sekunden still stehen, die Schlüssel noch in der Hand. Schließlich ging sie zu Fuß hinüber zum Alpette . Das Café-Restaurant war offen. Sie sagte Élisa, die es wusste, aber so tat, als wüsste sie es nicht, dass Paul gerade ins Krankenhaus gebracht worden sei, und, Élisas Frage zuvorkommend, auch gleich, in welches, nämlich Lyon. Aber sie ging nicht so weit, auch die Station zu verraten.
    Um sich auch vor sonstigen Nachfragen zu schützen, sagte sie noch: »Seine Lungenentzündung hat sich verschlimmert.« Dann gab sie Élisa die Schlüssel.
    Sie ging zurück zum Chalet, stieg in ihren Twingo und nahm die Straße Richtung Tal. Als sie unterhalb des Dorfs angekommen und vor etwaigen neugierigen Blicken geschützt war, stellte sie den Wagen ab, zog ihre Mokassins aus und ihre Stiefel an und ging dann rasch in den Wald. Sie kannte den Weg, es gab nur einen. Sie lief etwa zweihundert Meter weit und ging dabei ganz dicht und ohne ihn zu sehen an dem durchweichten Schal des Mannes vorbei, der ihre Gedanken beherrschte. Einige Meter davon entfernt sah sie unterhalb des Wegs die rechteckige Flasche in einem Lichtstrahl aufglänzen und daneben einen Abdruck in Form und Größe eines Menschen, hinterlassen von Paul, wie sie vermutete. Es roch nach frischer Erde und Pilzen, nach Rentnererholung und Kindermärchen; die Luft war mild, doch Suzon fröstelte. In einer fast gattinnenhaften Aufwallung von Schamhaftigkeit hangelte sie sich an den niedrigen Ästen hinunter und barg die Flasche. Sie war leer, und auf dem Etikett stand: Impérial, landwirtschaftlicher weißer Rum, 40% vol. Mit der Flasche in der Hand machte sie sich auf den Rückweg. Als sie aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher