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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Autoren: Laurence Cossé
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gewohnten Weg, und was sehe ich? Die beiden Kerle an der kritischen Wegstelle wie tags zuvor. Ich sage mir: Was soll’s, unterhalten wir uns eben ein bisschen. Ich gehe auf sie zu, aus fünf Metern Entfernung sage ich Guten Tag. Keine Antwort. Mörderische Blicke. Bei ihnen angekommen, bleibe ich stehen. Und frage: ›Machen Sie Urlaub hier?‹ Wenn ich so zurückdenke … Immerhin habe ich nicht ›Schönes Wetter heute‹ gesagt. Die Burschen machen den Mund nicht auf, sie stehen stocksteif da und starren mich an. Ich schicke mich ins Unvermeidliche und gehe auf der Landseite in einem halben Meter Entfernung an ihnen vorbei. Ich habe schönere Erinnerungen.
    Ich gehe wieder durch den Wald zurück. Den restlichen Sonntag über habe ich die Szene noch mehrmals durchlebt, das will ich Ihnen nicht verhehlen. Sind Sie noch dran?«
    »Ich höre Ihnen die ganze Zeit zu, Ballon. Erzählen Sie weiter.«
    »Am Montag komme ich wieder oben auf dem Steilfelsen an und sehe die beiden auf mich lauern. Ich fühle mich mies. Ich habe Pudding in den Knien. Ich sage mir: Diesmal schön sachlich bleiben. Es ist witzlos, sich zu einem Lächeln zu zwingen. Du hältst einfach den Mund. Doch als ich näher komme, weichen sie zur Landseite aus, sodass ich auf dem Pfad die Seeseite nehmen muss. Ich gehe an ihnen vorbei, und zwar rasch, Van. Ich habe das dringende Bedürfnis, mich zu setzen. Ich zwinge mich, ihren Sichtbereich zu verlassen, bevor ich mich fallen lasse. Ich gebe zu, Van, dass ich mich im Wald für mindestens fünf Minuten flach auf den Rücken gelegt habe.
    Am Dienstag beschließe ich, mit meinem Großtun aufzuhören. Ich weiche von meinen Gewohnheiten ab. Ich starte eine halbe Stunde später. Und dieses Mal sind die beiden Rowdys nicht auf dem Steilfelsen, welche Erleichterung. Der restliche Tag ist eine einzige Euphorie.
    Vorgestern, am Mittwoch, halte ich mich an meinen neuen Stundenplan. Ich sehe niemanden. Alles in Ordnung. Na, jetzt kann Entwarnung gegeben werden, sage ich mir.
    Doch gestern geht’s wieder los, die beiden Kerle warten auf mich. Es regnet, kalter Nieselregen. Meine Nerven flattern. Zehn Meter vor ihnen packt mich die Angst, und ich mache kehrt. Ich will ehrlich sein: Ich mache mich so schnell wie möglich davon, in sehr schnellen Schritten. Aber nicht schnell genug, um nicht noch jemanden grölen zu hören: ›Fast wie in einem schlechten Krimi, was, Le Gall? Mit ordinären Personen und einem grob gestrickten, richtig dümmlichen Plot. Armer Le Gall, wo er die gute Literatur so liebt. Das ist kein guter Roman, was?‹ Können Sie sich das vorstellen, Van? Sie betonten das ›gut‹. Gar kein guter Roman …«
    »Unglaublich«, sagte Van.
    »Ja, nicht wahr?«
    »Noch unglaublicher, als Sie glauben.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Diesen Satz, den Sie eben gesagt haben, diese ganz besondere Drohung, hat mir jemand vor genau drei Tagen zitiert. Ballon, wir müssen uns treffen.«
    »Halt, wer hat Ihnen diesen Satz gesagt?«
    »Können Sie es sich nicht denken? Ein Komiteemitglied, natürlich. Das dieselbe Drohung zu hören bekam, wortwörtlich. Ballon, wann und wo können wir uns treffen?«

7
    M orgen«, hatte Le Gall vorgeschlagen. »Im TGV-Bahnhof von Rennes. Der liegt genau in der Mitte zwischen meinen Steilfelsen und Ihrer Buchhandlung. Jedenfalls rein zeitlich gesehen.«
    An einem Samstag, das passte Ivan nicht so besonders gut. Vom Umsatz her war der Samstag sein bester Tag. Ein Gesichtspunkt, den er nicht ganz unberücksichtigt lassen durfte, wie sehr er seinem Naturell nach auch geneigt gewesen wäre, darauf zu pfeifen.
    »Und Sonntag?«, fragte Le Gall.
    Sonntag passte Van gut. Mit einer Präferenz für den Nachmittag.
    »Den Sonntagvormittag widme ich gern der … sagen wir der Langsamkeit.«
    »Hübscher Vorname«, bemerkte Armel.
    Wenn Van gegen zwei Uhr einen TGV nahm, konnte er zu einem späten Nachmittagsimbiss in Rennes sein und zum Abendessen schon wieder in Paris. »Wenn Sie aus dem Zug ausgestiegen sind«, erklärte Le Gall, »fahren Sie mit der Rolltreppe in den ersten Stock. Oben ist gleich gegenüber der Rolltreppe ein Café namens Le Parisien . Das ist extra für Sie da eröffnet worden. Gehen Sie nicht weiter. Wir treffen uns in diesem Café.«
    Er hingegen nahm lieber den Wagen. Jedes Mal, wenn er mehr als hundert Kilometer fuhr, kam ihm die Idee zu einem neuen Roman. Er sagte sich immer, wenn er weitergefahren und zweitausend Kilometer zurückgelegt hätte, wäre der Roman beim
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