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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Mädchen. »Zwei Kanalarbeiter sahen, wie die Frau auf der Straße zusammenbrach. Der eine von ihnen stinkt wie die Pest, kam wohl gerade aus den Abwässern. Darum riecht es hier auch so, Herr Doktor.«
    Dr. Vandura setzte sich neben die Frau auf die Chaise und streifte ihr den Büstenhalter hoch. Mit einem Membranstethoskop horchte er den Herzschlag ab, zählte dann den Pulsschlag und schob die Lider über beiden Augen hoch. Die Frau lag in tiefer Bewußtlosigkeit. Ihr Gesicht war bleich wie Mehl. Sie reagierte auf keine Reflexe, weder auf Schütteln, Anruf noch Kneifen.
    »Depot-Novadral«, sagte Dr. Vandura, zog der Frau die Schuhe aus und rieb ihre Füße. »Ein Kubikzentimeter.«
    »Schon fertig, Herr Doktor.«
    Das Mädchen reichte die Spritze, rieb am nackten Oberschenkel der Frau eine Stelle mit Alkohol ein und drückte dann einen Wattebausch auf die Einstichstelle, als Dr. Vandura das Kreislaufmittel injiziert hatte. Der Atem der Frau wurde deutlicher, die Augenlider begannen zu flattern. In die bläulichen Lippen kehrte etwas rote Farbe zurück.
    Dr. Vandura schob die langen schwarzen Haare der Frau hoch und begann, sie gründlich zu untersuchen. Er tastete ihren Kopf ab, die Schultern, den Brustkorb, den Leib, bewegte und drehte Arme und Beine und rieb dann wieder die Fußsohlen der Frau. Dabei beobachtete er, wie das Blut ins Gesicht zurückkehrte und die fahle Blässe wegglitt.
    »Sie hat einen Schock erlitten«, sagte Dr. Vandura. »Hatte sie nichts bei sich? Keine Handtasche?«
    »Nichts, Herr Doktor.« Das Mädchen nickte zur Tür. »Wollen Sie die beiden Arbeiter noch sprechen, die sie gebracht haben?«
    »Nein. Sie können gehen. In ein paar Minuten wird sie klar bei Verstand sein und mir selbst erzählen, was vorgefallen ist.«
    Das Mädchen verließ das Behandlungszimmer, und Dr. Vandura beugte sich über die Frau. Das schmale, schöne Gesicht begann zu zucken, die Lippen verkrampften sich. Plötzlich begannen die Hände zu flattern und ballten sich zu Fäusten.
    »Ganz ruhig, gnädige Frau …«, sagte Dr. Vandura. Seine Stimme bekam einen dunklen, unendlich beruhigenden, beschwörenden, suggestiven Klang. Eine Stimme, die streichelte. »Sie haben gar keinen Grund, sich zu fürchten. Es geht Ihnen gut, Sie sind in Sicherheit, wenn Sie so wollen, niemand wird Sie belästigen … Hören Sie mich, gnädige Frau …«
    Der schlanke Körper streckte, entspannte sich. Das Zittern der Lider hörte auf, die Lippen wurden voller. Auch die Fäuste öffneten sich – die Finger zitterten unruhig über das rote Wachstuch. Dr. Vandura lächelte ermunternd.
    »Sehen Sie mich an, gnädige Frau«, sagte er mit seiner streichelnden Stimme. »Die Erde hat Sie wieder! Sie sind nicht mehr ohnmächtig. Und Sie brauchen sich nicht zu schämen, nicht vor mir …«
    Die Frau hob schnell die Lider, blickte Vandura kurz an und schloß dann wieder die Augen.
    »Wer … wer sind Sie?« fragte sie. Ihre Stimme war dunkel, wie in Samt gebettet. Jedes Wort hatte den Klang einer angezupften Cellosaite. Vandura hob erstaunt die Augenbrauen, ordnete das Kleid der Patientin und schob es über der entblößten Brust zusammen.
    »Ich bin Vandura, Dr. Vandura … Sie befinden sich in meiner Praxis. Zwei Männer haben Sie zu mir gebracht, als Sie auf der Straße ohnmächtig wurden. Sie standen unter der Einwirkung eines Schocks, aber jetzt ist alles gut. Ihr Puls ist normal, Ihr Herz schlägt kräftig. Wenn Sie wollen, können wir über alles sprechen.«
    Die Frau rührte sich nicht. Nur der Atem wurde schneller, die Hände glitten unruhiger über die Chaise. Vandura ergriff ihre Hände und hielt sie fest.
    »Sie … Sie sind Dr. Vandura …?« sagte die Frau leise.
    »Sie kennen mich?«
    Die Frau nickte. Wer kannte Dr. Vandura nicht? Sein Name kursierte in den Salons der Villen, bei Teenachmittagen oder Kaffee-Einladungen schwärmten die Frauen von ihm. Als er vor fünf Jahren nach München zog, die Villa des verstorbenen Fabrikanten Humpertz kaufte und seine Praxis als Facharzt für innere Krankheiten aufmachte, war er ein Arzt wie viele andere. Das änderte sich, wie man so sagt, über Nacht, als die exaltierte Gattin des Chemikers Freidanck ihn um zwei Uhr morgens rief, weil sie glaubte, eine Venenverstopfung des linken Beines zu haben. Das Bein zuckte und schmerzte. Dr. Vandura war in zehn Minuten zur Stelle, untersuchte die Patientin und übersah ihre verwunderten, später entzückten Blicke. Nüchtern stellte er fest:
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