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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Lungen schienen unverletzt zu sein, auf den Lippen bildeten sich beim Atmen nicht die charakteristischen kleinen Schaumbläschen. Auch röchelte der Verwundete nicht beim Luftholen.
    »Sie haben verdammtes Glück«, sagte Vandura und zählte den Puls. Er war schwach, aber nicht besorgniserregend. »Vier Zentimeter höher, und es wäre ein glatter Herzschuß gewesen.« Er blickte hoch und sah an den Beinen Yussufs entlang. »Verbandszeug, verdammt!« schrie er. »Soll ich die Daumen auf die Löcher halten?!«
    Eine der Stewardessen erschien mit der Bordapotheke. Sie enthielt Mull, Leukoplast, verschiedene Pillen und Tabletten gegen Kopfschmerz und Übelkeit, Riechwässerchen und Jod.
    »Ist das alles?« fragte Vandura betroffen.
    »Nein. Wir haben noch mehr. Aber nicht in der tragbaren Tasche.«
    »Alles hierher! Yussuf, helfen Sie mit. Bringen Sie alles heran!«
    Mit verminderter Geschwindigkeit raste das Flugzeug durch die Luft. Unter ihnen lagen die Alpen in der Sonne, weiße Grate und Gipfel, ein Meer aus gezacktem, vereistem Stein, eine Zauberwelt ergreifender Schönheit. Wolkenfetzen wehten unter ihnen her, umhüllten wie Schleier einige schroffe Gipfel, schwebten über die Täler. Die Passagiere starrten aus den Fenstern auf diese ergreifend mächtige Landschaft, und sie hatten alle den gleichen Gedanken: Wenn wir dort aufprallen, wird man uns nicht einmal wie einen Christenmenschen begraben können – niemand wird uns hier finden und herunterholen –
    Vandura kniete noch immer neben den Verletzten. Der Co-Pilot hatte viel Blut verloren, seine Verwundungen waren weniger schwer als die des Chefs, aber aus der großen Fleischwunde am Schenkel war so viel Blut geströmt, daß er jetzt ohnmächtig war und keine Schmerzen mehr spürte. Vandura legte allen Verbandsmull, den ihm die Stewardeß gebracht hatte, auf den großen Einschuß und wickelte dann einen Verband darum. Mehr konnte er nicht tun. Er hoffte nur, daß in der Bordapotheke wenigstens zwei Flaschen Blutplasma oder Blutaustauschstoff vorhanden waren.
    »Wir müssen in Zürich landen«, sagte der Chefpilot mit schwerer Zunge. An dem Flattern der Augen sah Vandura, daß auch er am Rande eines Zusammenbruchs stand. Da Vandura nichts anderes zur Hand hatte, hielt er dem Piloten eines der Riechfläschchen unter die Nase. Es wirkte, der Blick wurde klarer. Die guten alten Mittel, dachte Vandura sarkastisch. Im Notfall kann man alles vergessen, was man in einer hochgezüchteten Klinik lernte. Im Notfall haben Ärzte mit dem Taschenmesser operiert und Tracheotomien gemacht, indem sie die Zigarettenspitzen oder die Hülsen von Kugelschreibern in den Kehlkopf steckten und Luft in die Luftröhre führten. Sie haben mit einem einfachen Meißel Trepanationen ausgeführt und Glieder amputiert mit einer Handsäge, Fuchsschwanz genannt.
    »Wir müssen in Zürich landen.« Der Pilot tastete nach Vanduras Hand. »Der Treibstoff ist genau berechnet. Ohne Tanken in Zürich kommen wir nicht mehr weit.«
    Vandura nickte und drückte das letzte Päckchen Verbandsmull auf die Schußwunde unter dem Herzen. »Wir werden in Zürich landen.«
    »Helfen Sie mir in den Sessel –«
    »Unmöglich. Sie können nicht mehr sitzen.«
    »Aber ich muß doch das Flugzeug …« Der Pilot schloß die Augen. »Ich muß doch … Doktor … die Menschen … ich kann doch auf dem Radar …«
    »Sie können gar nichts mehr. Wenn Sie sich viel bewegen, verbluten Sie innerlich.«
    »Wir müssen landen –«
    »Ich sagte Ihnen schon: Es wird nichts passieren. Nur Ruhe! Ich werde fliegen –«
    »Sie, Doktor?« Der Pilot öffnete die Augen, es machte ihm Mühe, als müsse er seine Lider wie Zentnergewichte hochstemmen. »Sie?«
    »Ich war im Krieg Flugzeugführer. Nachtbomber. Die Dinger waren gegenüber diesen komplizierten Biestern hier die einfachsten Maschinen. Ein paar Kontrollgeräte – aus. Aber sie flogen! Auf einer He 111 habe ich gelernt. Ich glaube, ich kann es noch. Auf jeden Fall sollten wir versuchen, es zu wagen. Sterben können wir noch immer. Sie müssen nur bei Besinnung bleiben und mir Anleitungen geben. Wie heißen Sie?«
    »Ruodi Stifter …«
    »Also, Ruodi – Mut, Zähne zusammenbeißen. Gleich kommt Yussuf mit der ganzen Bordapotheke, und ich hoffe, daß einige Spritzen drunter sind, die Sie auf den Beinen halten.«
    »Sie wollen fliegen, Doktor?« sagte der Funker. »Mein Gott … Ich würde es auch tun, ich habe lange genug zugeschaut – aber jetzt habe ich keinen Mut
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