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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in Beirut tickte ein Telegraf, und irgendwo in der jordanischen Wüste nahm Dr. Karabaschs Funker den Spruch auf.
    »Abflug 10.16 Uhr. Flug Nummer 34 Swissair.«
    Und Dr. Karabasch befahl an eine weit entfernte Truppe:
    »Haltet euch bereit. Plan I läuft an. Erfolg oder Tod – etwas anderes gibt es nicht mehr.«
    Um 10.16 Uhr hob sich die Maschine von der Piste Beiruts ab und schwebte in den blauen Himmel. Die Sonne spiegelte sich im Meer, die weiße Märchenstadt versank hinter einem Dunstschleier. Dr. Vandura starrte aus dem Fenster und drückte die Stirn gegen die dicke Scheibe.
    Adieu Zauberland. Adieu Blut und Tränen, Hoffnung, Liebe und Haß.
    »Denkst du an Laila?« fragte Katja neben ihm und löste das Schloß von Vanduras Sicherheitsgurt. Sie hatte in den letzten Tagen klug vermieden, den Namen zu nennen. Und sie war Vandura nicht zu nahe getreten – er wird von allein kommen, dachte sie. Er muß durch diese Hölle der Erinnerung hindurch, und keiner kann ihm dabei helfen. Ich habe sie hinter mir – als Vandura damals verschwand und keiner mehr glaubte, daß er irgendwo wieder auftauchte, habe ich alle Stadien der Qual durchwandert. Es ist furchtbar, als wenn man einem das Herz mit glühenden Zangen herausreißt – aber man kann es überwinden. Ralf, man kann es!
    Vandura blickte weiter auf die schnell entschwindende Küste des Libanon. Er wußte, daß er dieses Stück Erde nie mehr betreten würde.
    »Ich nehme Abschied«, sagte er leise. »Und wehmütig ist mir zumute. Nein, nicht wegen Laila – das ist vorbei. Das ist endgültig. Aber die Menschen dort unten – diese armen, an die Selbstverständlichkeiten des Lebens wie ein Wunder Allahs glaubenden Menschen –, sie haben mich nötiger als die zu siebzig Prozent eingebildeten Kranken aus den Salons. Sie brauchen ihren Hakim-Pascha wie Getreide und Wasser, wie Stutenmilch und einen Eselrücken. Und ich verlasse sie. Verdammt, ich bin dabei, mich zu schämen – ich habe sie verraten. Was kann ein Arzt in diesen Ländern alles tun?! Was weiß die satte Medizin von diesem ungeheuren Hunger nach Leben? Was könnten wir hier für die Menschheit tun, wenn wir nicht zu träge wären, so gleichgültig, so ganz auf uns selbst ausgerichtet, so widerlich egoistisch, so bewußt mörderisch blind! Ich bin da keine Ausnahme – ich gehe zurück in meine Praxis, und ich werde dick und fett werden durch die Exaltiertheit meiner Patienten. Und dort unten leben Tausende, die noch nie einen Arzt gesehen haben, die krank werden, leiden und sterben an Krankheiten, die wir als Routineangelegenheit ansehen. Aber sie denken, es sei Allahs Wille und gehen ein – weil wir, wir alle zu bequem sind, zu elefantenfellig! Das ist eine Schuld, von der wir nie ganz wegkommen und die nie getilgt werden kann! Eine Schuld, die täglich größer wird!«
    »Jetzt redest du wie diese Revolutionäre, Ralf.«
    »Ich kann sie verstehen, Katja. Je weiter ich mich von ihnen entferne, je mehr ich schuldig werde an ihnen, kann ich sie begreifen. Es sind Menschen wie wir – und wir stoßen sie aus, wir töten sie durch Waffen oder durch Mißachtung, was vielleicht noch schlimmer ist als Bomben und Granaten, nur weil sie den Mut haben, unsere Trägheit wachzurütteln.« Vandura lehnte sich zurück. Die Stewardeß ging herum und verteilte Orangen. Katja nahm zwei und begann, sie zu schälen. »Ich schäme mich«, sagte er leise. »Und trotzdem gehe ich nicht zu ihnen zurück. Ich bin kein Kämpfer, ich bin ein Antiheld.«
    »Das mußt du sagen, von dem alle Zeitungen der Welt voll sind.«
    »Ein Beweis, wie Helden manipuliert werden. Ich möchte wissen, wieviel geschichtliche Helden sich dagegen wehrten, Vorbilder zu sein. Ich bin kein Vorbild, Katja. Ich bin nur verurteilt, immer etwas zu anders zu sein, als ich will.«
    In diesem Augenblick wurde Vandura zum Propheten, ohne es zu wissen.
    Die Landung in Rom verlief glatt. Neunzehn Passagiere verließen die Maschine, sie tankte auf, und zehn neue Fluggäste nahmen ihre Plätze ein. Vier Frauen und sechs Männer, elegant, ein wenig hochnäsig, mit einem romanischen Tonfall englisch sprechend.
    Vandura legte Katja den Arm um die Schulter, als sie von Rom aufstiegen und Kurs auf Zürich nahmen. Die Rückkehr nach Europa hatte ihn verwandelt. Es war, als sei die Wüste während des Fluges über das Mittelmeer aus ihm hinausgeblasen worden.
    »Wann heiraten wir?« fragte er.
    »So schnell es geht. Hundert Frauen werden es dir übel
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