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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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sie bloß hervor: »Die haben mich rausgeschmissen.«
    Er blätterte um; seine Augen verengten sich leicht, während sie über die Zeilen huschten.
    Das krampfartige Gefühl in Beths Magengrube wurde stärker. »Dad, hörst du mir zu? Bitte, Dad. Wirklich, du musst dich zusammenreißen. Kann sein, dass das Jugendamt herkommt, vielleicht sogar die Polizei. Sieh mal, ich – Dad, ich hab’s verbockt, und zwar so richtig. Dad, ich brauch Hil–«
    Sie verstummte, als er zu ihr aufsah.
    An einem Abend vor etwas mehr als drei Jahren hatte Beths Mum hier gesessen und in Geheimsache Eiserner Kondor geschmökert. Sie war regelrecht vernarrt gewesen in Uralt-Spionageromane, die zu Zeiten des Kalten Krieges spielten, in dieser überschaubar bedrohlichen Welt voller Filzhüte und Geheimcodes und Aktenkofferbomben. An jenem Abend hatte sie das eselsohrige Taschenbuch mit einem leisen, bedauernden Seufzer beiseitegelegt, weil sie nicht bis zu dem Kapitel gekommen war, auf das sie sich so sehr gefreut hatte, aber durchaus zufrieden mit der Gewissheit, dass es dann eben am nächsten Tag auf sie warten würde. Sie gab ihrem Mann einen hauchzarten Kuss, drehte sich um und verblutete, während sie schlief.
    Beths Vater war aufgewacht, den Arm um seine Frau geschlungen. Sie war ganz wächsern und kalt gewesen und ihre Glieder zu schwer, als er versucht hatte sie zu bewegen.
    Es war der Morgen von Beths dreizehntem Geburtstag gewesen.
    Seit jener Nacht schlief er in seinem Sessel – Beth ahnte, dass er sich vor dem Schlafzimmer fürchtete, auch wenn er es wohl niemals zugeben würde. Seit jener Nacht las er wieder und wieder dasselbe Buch, mit beinah verzweifelter Anstrengung, sodass es in seinen Händen inzwischen regelrecht zerfiel.
    Und seit jener Nacht sah er sie mit diesem Blick an, dem stets gleichen trostlosen, flehenden Ausdruck von Erschöpfung auf dem Gesicht.
    »Ist schon gut«, stammelte Beth, wütend, dass sie derart schnell einknickte. »Ich – ich werd’s schon irgendwie – ich krieg das hin.«
    Er reagierte nicht. Ihr wurde klar, dass sie sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt mit ihr gesprochen hatte, wirklich gesprochen …
    Als sie sich zur Tür wandte, stolperte sie, trat versehentlich auf die Fotos mit dem lächelnden Gesicht ihrer Mutter. Aus dem Mund ihres Dads drang ein beschützender Schrei, und für einen Moment kochte ihr Zorn über, bloß ein bisschen, gerade so viel, dass sie ihn anfuhr, ihr Ton gehässig. »Geld liegt auf dem Regal im Flur.«
    Sie fühlte eine beschämende leise Genugtuung, als er zusammenzuckte.
    Es ist nicht seine Schuld , rief sie sich mit aller Kraft in Erinnerung, während sie nach ihrem Rucksack griff, sich zurück durch den Flur und hinaus in die Nacht stürzte. Er ist zerbrochen. Das tun Menschen eben.
    Aber Menschen heilen auch wieder , meldete sich eine barsche Stimme in ihr: Herzen überwuchern mit Narbengewebe und hören trotzdem nicht auf zu schlagen. Ihr Dad war gefallen, so viel konnte Beth begreifen, doch jeder Tag, den er mit diesem verdammten Buch in diesem verdammten Sessel hockte, war ein weiterer Tag, an dem er nicht wieder aufstand. Beth spürte, wie der Mut sie verließ, sobald sie ihn ansah, denn auch wenn sie es nicht zugeben wollte, stand sie doch kurz davor, in denselben dunklen Abgrund zu sinken.
    Sie blickte verblüfft auf ihre Hand. Darin lag ihr Mobiltelefon. Ihr Daumen schwebte über dem Display, auf dem bereits Pens Nummer zu lesen war: reines Muskelgedächtnis. Sie zuckte zurück und schleuderte das Telefon von sich. Krachend schlug es aufs Pflaster. Beth rannte die Straße entlang, als wäre ihr eine Heerschar von Geistern auf den Fersen.
    Es hatte geregnet, und das Licht der Laternen ergoss sich über die Gehsteige wie geschmolzenes Kupfer. Tränen verschleierten ihr den Blick, sodass sie auf ihren Instinkt vertraute, sie durch das Gewirr der Straßen zu führen.
    Der Maschendrahtzaun längs der alten Rangiergleise ragte vor ihr auf. Sie stürzte darauf zu und kletterte hinüber, ignorierte den Rost und die losen Drähte, die nach ihren Händen schnappten. Die Schienenstränge, auf denen sie landete, waren seit langer Zeit stillgelegt, Teil einer alten Streckenerweiterung, die nicht mehr befahren wurde. Sie stolperte sie entlang, kickte weggeworfene Chipstüten und vom Regen aufgeweichte Zeitungen vor sich her, die überall herumlagen. Vor ihr öffnete sich ein Tunneleingang und sie rannte hinein.
    Erst nachdem Beth eine der drei starken
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