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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger
Autoren: William Nicholson
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Richtung, an den hübschen, orange gestrichenen Reihenhäusern vorbei. Vor ihnen ging die Familie Blesh, die ihren kleinen Sohn auf dem Weg weithin hörbar trainierte. 
    »Eins, zwei, drei, vier, wer steht vor der Tür? Fünf, sechs, sieben, acht, wer hat das gemacht?« 
    Am großen Platz vor dem Gemeindesaal drehte sich Mrs. Blesh um und bemerkte die Haths. Wie immer winkte sie ihnen zu wie guten Freunden und blieb stehen, bis Mrs. Hath sie eingeholt hatte. 
    »Können Sie ein Geheimnis für sich behalten?«, flüsterte sie. »Wenn unser Kleiner heute gut genug ist, ziehen wir rauf nach Scharlach.« 
    Mrs. Hath dachte einen Augenblick nach. »Eine leuchtende Farbe«, antwortete sie dann. 
    »Und haben Sie schon gehört? Unser Rufy war gestern Nachmittag Zweiter in seiner Klasse.« 
    »Zweiter, Zweiter! Warum nicht Erster, das würde ich gern mal wissen«, mischte sich Mr. Blesh ein. 
    »Ach, ihr Männer!«, rief Mrs. Blesh. Dann sagte sie in vertraulichem Ton zu Mrs. Hath: »Sie können einfach nicht anders, oder? Sie müssen immer gewinnen.« 
    Während sie diese Worte aussprach, ließ sie ihre leicht hervorquellenden Augen einen Moment auf Hanno Hath ruhen. Jeder wusste, dass der Ärmste seit drei Jahren nicht mehr befördert worden war. Aber seine Frau gab natürlich nie zu, wie enttäuscht sie sein musste! Kestrel fing Mrs. Bleshs mitleidigen Blick auf und hätte ihr liebend gern ein paar Dolche in den Leib gerammt. Aber noch lieber hätte sie ihren Vater umarmt und sein runzliges, trauriges Gesicht geküsst. Um ihren Gefühlen Luft zu machen, bombardierte sie Mrs. Bleshs breiten Rücken mit wüsten Gedanken. Pocksicker! Pompapruhn! Sagahock! 
    Am Eingang des Gemeindesaals hakte eine Prüfungsassistentin Namen auf einer Liste ab. Die Bleshs meldeten sich zuerst. 
    »Ist der Kleine sauber?«, wollte die Prüfungsassistentin wissen. »Hat er gelernt die Blase zu kontrollieren?« 
    »Aber ja«, erwiderte Mrs. Blesh. »Er ist ungewöhnlich weit für sein Alter.« 
    Als Pinpin an der Reihe war, stellte die Prüfungsassistentin die gleiche Frage. »Ist sie sauber? Hat sie gelernt die Blase zu kontrollieren?« 
    Mr. Hath schaute Mrs. Hath an. Bowman schaute Kestrel an. Vor ihrem inneren Auge erschienen Bilder von Pinpins Pfützen auf dem Küchenfußboden. Doch dann flammte in ihnen allen eine Art Familienstolz auf. 
    »Die Blase kontrollieren, Madam?«, entgegnete Mrs. Hath mit einem strahlenden Lächeln. »Meine Tochter kann im Rhythmus der Nationalhymne pinkeln.« 
    Die Prüfungsassistentin machte ein erstauntes Gesicht. Dann kreuzte sie auf ihrer Liste das Feld vor dem Wort SAUBER an. »Tisch dreiundzwanzig«, verkündete sie. 
    Im Gemeindesaal herrschte lebhaftes Treiben. Ganz vorn waren die Namen aller siebenundneunzig Prüflinge in alphabetischer Reihenfolge auf einer riesigen Tafel aufgeführt. Auch Pinpins Name war darunter, der den Haths in seiner korrekten Form ganz ungewohnt war: PINTO HATH. Die Familie stellte sich schützend um den Tisch Nummer dreiundzwanzig, während Mrs. Hath Pinpin die Windel abnahm. Da sie nun als sauber registriert war, hätte es als Täuschungsversuch gegolten, wenn sie weiterhin eine Windel getragen hätte. Pinpin freute sich. Sie fühlte gern kühle Luft am Po. 
    Mit dem Läuten einer Glocke wurde es still im Saal und alle warteten gebannt auf das Eintreten der Prüfer. An jedem der siebenundneunzig Tische saß ein zweijähriges Kind, die Eltern und Geschwister jeweils auf einer Bank dahinter. Die plötzliche Stille beeindruckte die Kleinen und es war nicht ein einziger Laut von ihnen zu hören. 
    Mit wehenden scharlachroten Talaren traten die Prüfer ein und stellten sich Furcht einflößend in einer Reihe auf dem Podium auf – zehn an der Zahl. In der Mitte stand die hoch gewachsene Gestalt des Obersten Prüfers Maslo Inch – der Einzige im Saal, der die schlichten, strahlend weißen Gewänder des obersten Ranges tragen durfte. 
    »Erheben Sie sich zum Gelöbniseid!« 
    Alle standen auf und die Eltern stellten ihre Kleinen auf die Füße. Gemeinsam sprachen sie die Worte, die sie alle auswendig kannten: »Ich gelobe härter zu arbeiten, mir höhere Ziele zu setzen und in jeder Beziehung danach zu streben, morgen besser zu sein als heute. Aus Liebe zu meinem Kaiser und für die Herrlichkeit von Aramanth!« 
    Dann setzten sie sich wieder und der Oberste Prüfer hielt eine kurze Rede. Maslo Inch war gerade Mitte vierzig und erst vor kurzem in den obersten
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