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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Sandbraunes Haar, Augen in der Farbe des Meers im September, ein strenger Mund mit antrainiertem freundlichem Lächeln. Sein ganzes Wesen signalisierte, dass Juha Merivaara ein echter Mann war, ein ganzer Kerl, ob er nun auf seinem Boot oder im Familienunternehmen das Ruder in der Hand hielt.
    »Meine Frau hat mir erzählt, dass dein Mann früher schon auf Rödskär war, trotz der Verbotsschilder der Armee. Das hat er gut gemacht! Inseln wie diese sollten allen zugänglich sein, die es schaffen, hinzusegeln.«
    Ich verkniff mir die Frage, warum der Herr Geschäftsführer trotz seiner Bewunderung für Segler selbst mit dem Motorboot unterwegs war. Mit Leuten wie Juha Merivaara mochte ich nicht mehr reden als unbedingt nötig. Antti kam zurück, die beiden Männer wechselten ein paar belanglose Worte, dann gingen wir zum Hafen, um unser Boot zu beladen.
    Mit Ausnahme von Jiri waren alle da, um sich zu verabschieden, Riikka und Tapsa eng umschlungen, Anne, die sich für den Besuch bedankte, Mikke, der einsilbig Sachen anreichte und die Taue löste.
    »Wegen Harri«, sagte Anne plötzlich, als wir bereits im Boot waren. »Ich muss immer daran denken … Du bist bei der Polizei, habe ich gehört. Sie haben uns damals kaum etwas gesagt. Es war doch nicht etwa … Selbstmord?«
    »Ihr habt keinen Hinweis darauf gefunden, oder? Einen Abschiedsbrief zum Beispiel?«
    Anne schüttelte den Kopf. »Aber bei ihm zu Hause vielleicht
    …«
    »Ich bin ab morgen wieder im Dienst, dann schaue ich nach«, beruhigte ich sie. Sie nahm eine Visitenkarte aus der Jackentasche.
    »Wenn du so lieb wärst … Ich habe immer noch Albträume.«
    Mikke wurde unruhig, denn der Wind drückte die »Marjatta«
    gegen die Felsen, und es war anstrengend, sie mit der Achterleine flott zu halten. Antti ließ den Motor an. Ich winkte, erleichtert und wehmütig zugleich. Wir nahmen Kurs auf Inkoo und den Alltag. Bei der steifen Brise war Rödskär eine Viertelstunde später nur noch ein Punkt am Horizont.
    Zwei
    »Sehe ich nach Chefin aus?«, fragte ich Antti am Montagmorgen. Ich trug einen Blazer im Safaristil zur passenden Hose und hatte mich, so gut ich konnte, auf Hauptkommissarin getrimmt, mit Pferdeschwanz und möglichst dezentem Make-up.
    »Ziemlich sexy für eine Chefin«, lachte Antti. »Nun geh schon, ich seh dir doch an, wie sehr du dich auf die Arbeit freust.«
    Die Fahrt dauerte nicht lange, zehn Minuten vor Beginn der Dienstzeit war ich am Ziel. Feste Arbeitszeiten würde ich allerdings auch künftig nicht haben, denn Verbrechen geschehen nun einmal zu jeder Tageszeit. Die Reformen, die in den letzten Jahren bei der Espooer Polizei durchgeführt worden waren, wirkten sich auch auf meine Arbeit aus. Der Einsatz von Kontaktbereichsbeamten und die Sympathiewerbung waren von allen Seiten gelobt worden. Unser Dezernat wiederum hatte sich speziell beim Aufbrechen der starren Amtshierarchie hervorgetan, was zur Folge hatte, dass ich trotz meines neuen Ranges auch künftig Tatorte inspizieren und Verdächtige und Zeugen vernehmen würde.
    Im Flur unseres Dezernats roch es wie immer nach Staub und abgestandenem Kaffee. Durch die Glastür sah ich Puupponen im Pausenraum.
    »Herzlich willkommen, Frau Hauptkommissarin! Womit soll’s losgehen?«
    »Mit der üblichen Montagsbesprechung um halb zehn«, brachte ich gerade noch heraus, bevor Puupponen mich umarmte.
    Gleich darauf rannte Koivu herbei und drückte mich an sich.
    »So, und jetzt bringen wir die Hauptkommissarin in ihr Büro.
    Hör auf zu zappeln, Maria, lass dich dieses eine Mal auf Händen tragen!«
    Die Stille auf dem Flur hatte mich getäuscht: Das ganze Dezernat war in meinem Dienstzimmer versammelt. Auf dem Couchtisch standen Kaffeetassen und Himbeertorte bereit, auf dem Schreibtisch prangte ein Riesenstrauß weißer und dunkelroter Rosen. Mein Vorgänger Taskinen, der inzwischen zum Kripochef aufgestiegen war, stand lächelnd vor den Kollegen.
    »Das Präsidium spendiert dir einen neuen Bürostuhl«, erklärte er und zeigte auf einen prachtvollen roten Drehsessel.
    »Der vorige war für mich und Ström bemessen. Man beachte die verstellbare Fußstütze!«
    »Ich bin ein Zwerg, ich weiß«, lachte ich gerührt. Offenbar freuten sich wirklich alle über meine Rückkehr.
    Alle bis auf Ström. Er hatte sich heute früh nicht blicken lassen.
    »Ström ist krank. Magenverstimmung«, meldete Lähde, Ströms einziger Kumpel im Dezernat.
    »Der arme Pertsa hatte immer schon einen empfindlichen
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