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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen
Autoren: Leena Lehtolainen
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hast Harri also gekannt. Ja, das war eine schlimme Geschichte. Juha und Anne haben ihn gefunden. Sie waren zufällig hergekommen und haben sich über die Sachen in der Gästestube gewundert. Es wusste nämlich niemand, dass ich ihn hier abgesetzt hatte.«
    »Er lag da drüben auf der Windseite im Wasser«, sagte Anne Merivaara leise. »Es ist schon spät, ich gehe schlafen. Gute Nacht.«
    Obwohl sie freundlich blieb, hatte ich das Gefühl, ihr die Stimmung verdorben zu haben. Als Anne außer Hörweite war, sagte Mikke entschuldigend:
    »Es war ein traumatisches Erlebnis für Anne. Sie hat damals einen Schock erlitten, nur gut, dass Juha bei ihr war.«
    »Mutter hatte immer schon eine hysterische Einstellung zum Tod, so oft ich ihr auch erklärt habe, dass der Tod zum Leben dazugehört«, erklärte Riikka mit der Selbstgewissheit einer Zwanzigjährigen.
    »Dieser Harri war noch so jung«, sagte Tapsa behutsam.
    »Ich selbst bin ihm nie begegnet, denn ich habe Riikka erst in diesem Frühjahr kennen gelernt, aber nach allem, was ich von Anne gehört habe, muss es ein ziemlicher Schlag für sie gewesen sein.«
    Mikke berichtete, Harri habe den größten Teil des letzten Sommers auf Rödskär verlebt, um im Auftrag der Merivaara AG
    den Vogelbestand des Gebietes zu kartieren. Die Firma hatte mit der Insel zugleich ein ausgedehntes Wassergebiet erworben. In dessen nördlichem Teil lag eine Ansammlung von Klippen, auf denen Zugvögel Rast machten. Falls dort genügend seltene Vogelarten beobachtet wurden, wollte Juha Merivaara beantragen, das Areal unter Naturschutz zu stellen.
    »Harri war von der Insel begeistert, weil er hier allein sein konnte. Er mochte Vögel lieber als Menschen, denn sie verhalten sich logischer.« Mikke zog an seiner Pfeife, und ich spürte einen Stich bei dem Gedanken, wie mies ich Harri damals behandelt hatte. Vielleicht hatte ich in den letzten Jahren doch etwas dazugelernt, sei es auch nur, dass es auf die Dauer unbefriedigend ist, seine Mitmenschen zu triezen.
    »Hast du Harri gut gekannt?«, fragte ich Mikke.
    »Ich habe ihn ein paar Mal als Gast mitgenommen, nach Gotland und Dagö. Er war allerdings ein miserabler Gast, der alles stehen und liegen ließ, wenn er einen interessanten Vogel entdeckte«, lächelte Mikke. Um seine Augen bildete sich ein Kranz von Lachfältchen.
    Riikka und Tapsa standen auf, für sie wurde es auch Schlafenszeit. Ich wollte den Sternenhimmel noch länger genießen, außerdem war die Whiskyflasche noch zu zwei Dritteln voll. Ich schenkte Antti und mir nach und sah Mikke fragend an, der meinen Blick erwiderte und mir sein leeres Bierglas hinhielt. Ich goss ihm großzügig ein.
    »Und woher habt ihr Harri gekannt?« Mikke nahm einen kräftigen Schluck, er hatte offenbar den gleichen Whiskyge-schmack wie ich.
    »Ich habe ihn gar nicht gekannt. Maria hatte früher mal eine Art Romanze mit ihm.«
    Ich hatte es immer zu schätzen gewusst, dass Antti nicht zur Eifersucht neigte, dass er weder meckerte, wenn ich mit Kollegen ein Bier trank, noch über meine Verflossenen herzog. Jetzt ärgerte es mich – »eine Art Romanze« klang furchtbar banal.
    Aber warum wünschte ich mir eigentlich, dass Mikke Sjöberg mich für einen Vamp hielt?
    Mikke trank noch einen Schluck und sah mir direkt ins Gesicht.
    »Ach, die Maria bist du … Harri hat ab und zu von dir gesprochen. Dann arbeitest du also bei der Polizei.«
    Ich nickte. Auch wenn ich mich für meinen Beruf nicht schämte, vermied ich es im Allgemeinen, ihn zu erwähnen.
    Viele interessante Kneipenbekanntschaften waren plötzlich wie versteinert, wenn sie hörten, womit ich mein Geld verdiente, einer hatte sogar mal hastig seinen Joint ausgedrückt und offenbar damit gerechnet, ich würde gleich die Handschellen zücken.
    »Die Polizei hat Harris Tod untersucht, aber es war nichts faul daran. Ein eindeutiger Unfall«, sagte Mikke und hielt mir sein Glas hin. Er schüttete den Laphroaig in sich hinein, als wäre es Bier.
    »Auf Harri«, sagte ich und hob mein Glas, obwohl mir die Geste selbst albern und sentimental vorkam. Mir saß ein Kloß im Hals, den ich mit einem zweiten Schluck hinunterspülte. »Er ist wohl ungefähr da ausgerutscht, wo wir heute gesessen haben?« Während ich fragte, goss ich Mikke gut einen halben Deziliter nach. Er beugte sich vor, er roch nach Pfeife und Meerwasser.
    »Deshalb habe ich dich ja vor dem Felsen gewarnt. Ich trau ihm nicht, er hat etwas Böses an sich.«
    Weit im Süden glitten die
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