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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen
Autoren: Leena Lehtolainen
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schläft, gehen wir gern«, meinte Antti und nickte dem Jungen zu, bei dem es sich offenbar um Merivaara junior handelte. Die Kleider schlotterten an seinem mageren Körper, sein Gesicht war noch kindlich, doch den Stimmbruch hatte er hinter sich. Ich schätzte ihn auf etwa sechzehn. Sich vorzustellen, schien er für überflüssig zu halten. Stattdessen schlurfte er zum Kühlschrank, nahm eine Flasche heraus, deren Inhalt wie gegorener Kohlsaft aussah, und brummte: »Meine Mutter ist gerade in der Sauna, danach gehen Riikka und Tapsa.
    Wenn das Baby bis dahin schläft, könnt ihr anschließend gehen, vor Mikke und mir.«
    Antti brachte Iida ins Bett, während ich mein Bier austrank und den Tisch abräumte. Die Müllentsorgung war bestens organisiert, es gab fünf verschiedene Abfalleimer: für kompos-tierbaren Abfall, Brennbares, beschichtete Pappe, Glas und Dosen. Ich musste aufpassen, damit alles im richtigen Eimer landete. Als ich gerade mit dem Spülen fertig war, hörte ich hinter mir eine Frauenstimme:
    »Hallo, ich bin Riikka Merivaara. Brauchen Sie einen Babysitter?«
    Ich drehte mich um und sah eine große, schlanke junge Frau, die auf die gleiche Weise lächelte wie ihre Mutter. Ihr Gesicht unter dem kurzen dunklen Pagenkopf war auffallend blass. Wir machten uns bekannt. Riikkas Händedruck war kühl und kurz.
    »Ich gehe jetzt mit Tapsa in die Sauna und sag Bescheid, wenn sie frei ist.«
    Interessant, wie sehr sich das Verhalten der beiden Frauen von dem des grünhaarigen Jungen unterschied. War Tapsa der Mann, dem ich die Vorderleine zugeworfen hatte? Da Riikka mit ihm in die Sauna ging, musste er ihr Freund sein, aber dafür schien mir der Seebär zu alt. Er mochte etwa in meinem Alter sein.
    Antti war noch damit beschäftigt, Iida in den Schlaf zu singen.
    Ich schenkte mir zwei Fingerbreit Whisky ein und spazierte nach draußen. Der Wind wehte hier nur träge, doch östlich von der Insel schlugen die Wellen noch hoch. Wie von einem Instinkt geleitet, ging ich von der Windseite zu den steilen, während des Krimkrieges von Geschossen angenagten Felswänden am Westufer. Hier irgendwo war Harri abgestürzt.
    An diesem warmen, hellem Augustabend war es nicht leicht, sich einen regnerischen Oktobermorgen und einen Trupp Kraniche vorzustellen, der laut trompetend über die Insel hinwegflog. Noch schwerer fiel es mir, zu glauben, dass Harri noch am Morgen Alkohol im Blut gehabt hatte. In unserer gemeinsamen Zeit hatte er kaum getrunken, nie mehr als zwei Glas Rotwein. Nun ja, Menschen ändern sich, zudem konnte auch ein erfahrener Wanderer auf den fast senkrecht abfallenden Felsen straucheln. Einen Sturz aus fünf Meter Höhe überlebte keiner.
    Ich setzte mich dicht an die Felskante, schlürfte meinen Whisky und bewunderte den Tanz der Sonnenstrahlen auf dem golden gefärbten Wasser. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich zusammenfuhr, als ich plötzlich Schritte hinter mir hörte. Es war der sehnige Mann aus dem Hafen.
    »Ich will nicht aufdringlich sein, aber auf diesen Felsen solltest du dich in Acht nehmen«, sagte er mit einem Blick auf mein Whiskyglas.
    »Das ist mein erster«, fauchte ich. Ich hasste es, bevormundet zu werden.
    »Trotzdem. Hier bin ich sogar mit klarem Kopf schon gestürzt.
    Ich habe mich vorhin gar nicht vorgestellt. Mikael Sjöberg.«
    »Maria Kallio.«
    Sein Händedruck war lang und fest, sein Gesicht wetterge-gerbt. Die Sonne hatte seine kurzen Haare fast weiß gebleicht, ebenso die Wimpern und Augenbrauen. Zu meiner eigenen Überraschung hielt ich ihm mein Whiskyglas hin. Sjöberg hob die Augenbrauen, zierte sich jedoch nicht, sondern nahm einen ordentlichen Schluck.
    »Guter Stoff. Ein Single Malt?«
    Ich nickte. Sjöberg setzte sich neben mich auf den Felsen. Wir sagten beide nichts, sondern betrachteten schweigend den Sonnenuntergang und leerten das Whiskyglas. Als nur noch ein kleiner Rest übrig war und wir lange, schmale Schatten auf den Felsen warfen, kam Antti.
    »Es hat eine Weile gedauert, Iida wollte in der fremden Umgebung nicht einschlafen. Jetzt können wir bald in die Sauna«, sagte er und stellte sich Sjöberg vor. Als er dessen Namen hörte, flog ein Schimmer des Erkennens über sein Gesicht.
    »Mikke Sjöberg, der Weltumsegler! Grüß dich! Du kamst mir beim Anlegen schon so bekannt vor. Wir sind einundachtzig zusammen auf der ›Astrid‹ von Kotka nach Hanko gesegelt, erinnerst du dich?«
    Mikke behauptete, sich zu erinnern. Während die beiden
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