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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen
Autoren: Leena Lehtolainen
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rief:
    »Wirf mir die Vorleine rüber!«
    Ich schaute auf und sah einen sehnigen Mann mit einer Pfeife im Mundwinkel.
    »Bei Südostwind ist es besser, die Vorleine hier und die Achterleine am Steg zu vertäuen, dann liegt man sicherer.«
    Ich warf die Trossenrolle, die er mit sorgloser Routine auffing, wobei er Antti Anweisungen zurief. Rauchschwalben strichen über uns hinweg, der Felsen strahlte die gespeicherte Hitze ab.
    »Geh du zuerst, Maria, dann reich ich dir Iida an.«
    Der Fremde betrachtete mich abschätzend, als überlege er, ob ich den Sprung auf den steilen Felsen aus eigener Kraft schaffte.
    Offenbar traute er ihn mir zu, denn er ging bereits den Abhang hinauf, bevor ich abgesprungen war. Der Boden war fest und duftete nach Islandflechte. Wir brauchten nicht lange zum Ausladen, da wir noch nicht wussten, ob wir in der Schutzhütte übernachten konnten. Andernfalls würde die Nacht sicher unruhig werden, denn der Hafen lag auf der Westseite und das Boot schlingerte heftig. Neben der »Marjatta« lagen zwei weitere Boote im Hafen: eine protzige Motoryacht, die am Südwestende des Stegs vertäut war, und ein etwa zehn Meter langes Segelboot aus Holz, eine echte Schönheit. Lange konnte ich es jedoch nicht bewundern, weil sich der grüne Tupfen auf dem Felsen, den ich für ein Grasbüschel gehalten hatte, plötzlich bewegte. Er hob sich, und ich sah einen Jungen in grünem Tarnanzug und mit grünen Haaren. Er starrte uns wortlos an, machte kehrt und rannte weg, dass die roten Turnschuhe blitzten.
    Antti hatte Iida in die Rückentrage gesetzt. Wir kraxelten den steilen Abhang hinauf. Die Festungsanlagen, die vom Meer aus undurchdringlich ausgesehen hatten, waren massiv gebaut: drei Meter dicke Mauern mit Schießscharten, ein zweistöckiges Gebäude in kantiger U-Form, über dessen mittlerem Teil sich ein massiger runder Leuchtturm erhob. An der Süd- und Westseite des Gebäudes wuchsen kleine Grasnarben und windgekrümmte Wacholderbüsche, an der windgeschützten Nordseite rauschten einige Erlen. Mädesüß blühte noch, während die Früchte der Weidenröschen bereits flaumig aufgesprungen waren.
    Als wir das Plateau erreichten, öffnete sich an der Giebelwand der Festung eine Tür, und eine kleine blonde, sonnengebräuntc Frau kam heraus.
    »Herzlich willkommen auf Rödskär! Bleiben Sie über Nacht?«
    Antti bejahte, die Frau gab uns die Hand und stellte sich vor.
    »Anne Merivaara. Im Gästehaus ist ein Zimmer frei, wir sind nur zu fünft. Die Sauna wird auch gerade geheizt.«
    Ihr ganzes Auftreten ließ erkennen, dass sie auf der Insel Hausrecht besaß. Anne Merivaara war Aktionärin der Merivaara AG, PR-Chefin der Firma und Ehefrau des Geschäftsführers Juha Merivaara. Auch wir stellten uns vor, und als Antti erwähnte, er sei schon einige Male auf Rödskär gewesen, wurde Anne Merivaara noch freundlicher. Wie eine geschulte Frem-denführerin zeigte sie uns das Festungsgebäude. Der Holzfußboden im Gästehaus war neu und blank poliert, und auch die Holzwände waren offenbar erst bei der Renovierung eingezogen worden.
    »Hier ist die Wohnküche mit gemeinsamem Gasherd und Kühlschrank. Sie bekommen das Südwestzimmer, gleich hier.«
    In dem Zimmer standen zwei schlichte, aber sicher von einem teuren Designer entworfene Etagenbetten, ein blau gebeizter Holztisch, zwei Stühle und eine Seemannskiste. Aus den kleinen Fenstern sah man aufs offene Meer.
    Antti hob Iida aus der Trage und ging zurück zum Boot, um unsere Schlafsäcke und Essvorräte zu holen. Die Abendsonne ließ die Felsen rosenrot erglühen, ihre Strahlen tanzten auf dem Meer. Iida zog mich schläfrig an den Haaren. Hoffentlich dachte Antti daran, den Whisky mitzubringen, für so eine Leuchtturminsel war Laphroaig genau das Richtige.
    Nach einigen Tagen Bordküche war es ein Luxus, das Abendessen in einer richtigen Küche zuzubereiten. Ich brachte ein regelrechtes Festmahl zustande: Kartoffeln, Hering, Leberpastete, die letzte geräucherte Flunder, Salat, dunkles, süßes Schwarzbrot von den Schären und Ziegenkäse. Iida wollte unbedingt vom Senfhering probieren, verzog zuerst das Gesicht, verlangte dann aber einen zweiten Happen. Nach zwei Kartoffeln, einem Stück Leberpastete und einem Becher Milch nickte sie ein, war aber sofort wieder hellwach, als der grünhaarige Troll hereinplatzte. »Meine Mutter fragt, ob ihr in die Sauna wollt. Riikka und Tapsa können solange auf das Baby aufpassen«, sagte er mürrisch.
    »Danke. Wenn Iida
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