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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung
Autoren: Kimberley Wilkins
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dass er mein Erröten nicht bemerkte. »O ja.«
    Er stellte den Motor ab. Wir stiegen aus und gingen ins Haus. Ich lag in seinen Armen, bevor ich Luft geholt hatte. Er drückte seine Lippen fest und warm auf meine. Ich schlang die Arme um seinen Hals, und wir küssten uns wie Teenager. Seine Hand kroch zu meiner Brust hoch, meine Haut schien zu zerfließen.
    »Oben«, sagte ich.
    »Oben«, wiederholte er.
     
    Ich wachte auf, und die Vögel waren da. Sie riefen und sangen und zwitscherten so wild wie immer. Ich öffnete die Augen und sah Patrick neben mir schlafen. Seine blasse, nackte Schulter über der Decke. Patrick, nackt in meinem Bett. Beinahe wäre mir schwindlig geworden.
    Ich betrachtete ihn eine Weile, bis seine Augenlider zuckten. Dann kuschelte ich mich an ihn und küsste seine Schulter.
    »Guten Morgen«, sagte er und vergrub die Finger in meinem Haar.
    »Damit hätte ich nicht gerechnet.«
    Wir blieben eine Weile eng umschlungen liegen und horchten auf die Vögel.
    »Was wirst du jetzt machen?«
    »Wie meinst du das?«
    Er löste sich von mir, setzte sich und schaute auf mich hinunter. »Jetzt, wo der Auftritt vorbei ist. Verkaufst du das Haus? Gehst du zurück nach Sydney?«
    »Natürlich verkaufe ich das Haus nicht.«
    »Dann bleibst du also hier?«
    »Sieht ganz so aus.«
    Er lächelte.
    »Falls du es willst.«
    »Und ob ich das will.«
    Beim Frühstück zählte ich all die Dinge auf, die ich aufgeschoben hatte, weil ich mich nicht häuslich niederlassen wollte. »Einen neuen Kühlschrank kaufen. Mit einem Gefrierfach, das funktioniert.«
    »Das Klavier stimmen lassen. Bitte«, sagte er.
    »Ja. Ich kaufe einen Fernseher. Und eine vernünftige Waschmaschine.«
    »Es wird ein richtiges Zuhause.«
    »Es
ist
mein Zuhause«, sagte ich und schnippte mit den Fingern. »Das große Schlafzimmer. Ich werde endlich dort einziehen, wie Monica es schon die ganze Zeit wollte. Und zwar heute noch.«
    Wir frühstückten zu Ende und gingen nach oben. Wir liebten uns im großen Schlafzimmer, es war süß und heftig zugleich. Danach öffnete ich die Vorhänge, betrachtete den Eukalyptus und dachte an Grandma und Charlie.
    »Könntest du auch eine neue Matratze kaufen?«, fragte Patrick, als ich mich anzog. »Die Sprungfedern sind hinüber.«
    Er lag noch mit nacktem Oberkörper auf dem Bett.
    »Vermutlich. Aber fürs Erste können wir sie umdrehen.«
    »Soll ich dir helfen?«
    »Bitte.«
    Wir zogen die Bettwäsche ab, wobei wir niesen mussten, und hoben die Matratze an.
    »Emma.«
    »Ich habe es gesehen.« Eine Aktenmappe, platt gedrückt von den Jahren zwischen Matratze und Bettgestell. Ich zog sie heraus. Patrick ließ die Matratze mit einem dumpfen Knall fallen, und wir setzten uns auf das Bett und öffneten die Mappe.
    Fotos. Dutzende von Fotos. Das kleine Mädchen, wer immer es auch gewesen sein mochte, in einem Dutzend verschiedener Kleider und Posen. Auf einem Pferd, beim Spielen mit Hunden, im Garten, neben einem Weihnachtsbaum.
    »Mein Gott«, sagte ich beim Blättern. Hier war Grandma als junge Frau mit dem kleinen Mädchen zu sehen, sie winkte jemandem hinter der Kamera zu. Und hier war ein dunkelhäutiger, hochgewachsener Mann, das Gesicht vom Hut verdeckt, der lässig auf einem Pferd saß. Ich drehte es um:
Charlie
hatte Grandma auf die Rückseite geschrieben. Ich zeigte es Patrick.
    »Geheimnis gelüftet.«
    »Es gibt mehr als ein Geheimnis«, erwiderte ich und betrachtete auch die anderen Rückseiten. Ein Name tauchte wieder und wieder auf. »Lucy, ihr Name war Lucy«, sagte ich. Ich wusste nicht, weshalb es mich so rührte, aber ich war den Tränen nahe.
    »Ich frage mich, was aus ihr geworden ist.«
    Ganz unten in der Mappe fand ich einen Brief und las die Adresse. »Sie ist nach Schottland gezogen.«
    Patrick warf einen Blick über meine Schulter. »Warum hat Beattie ihn nicht abgeschickt?«
    »Aus demselben Grund, aus dem sie uns nie von Lucy erzählt hat. Ein uneheliches Kind war damals noch etwas ganz anderes.« Der Umschlag war zugeklebt.
    »Willst du ihn öffnen?«
    »Es kommt mir irgendwie nicht richtig vor.«
    »Mach ihn auf.«
    »Ich kann es nicht. Mach du es.«
    Er öffnete ihn und holte einen Brief heraus. »Soll ich ihn vorlesen?«
    Ich nickte, weil ich fürchtete, in Tränen auszubrechen.
     
    Meine liebste Lucy,
    es ist schon viele Jahre her, dass ich dich zuletzt gesehen und im Arm gehalten habe. Du warst damals noch ein kleines Mädchen und leicht wie ein Vogel, als ich dich zum
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