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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung
Autoren: Kimberley Wilkins
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die Begegnung und setzte mich.
    Sie blickte auf, sagte aber nichts.
    »Tut mir leid, soll ich mich woanders hinsetzen?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Egal. Ich treffe mich gleich mit einer Freundin.« Sie klopfte auf den leeren Sitz zwischen uns. »Wir müssen keinen peinlichen Smalltalk machen. Ich tue einfach, als würde ich dich nicht kennen.«
    Ich musste lachen. »Wow, Monica, ich wusste gar nicht, dass du so böse sein kannst.«
    Ihre Mundwinkel zuckten, doch sie gestattete sich kein Lächeln.
    »Dürfte ich dir etwas erklären?«
    »Du kannst es ja versuchen.«
    »Bis vor kurzem wusste ich nicht, was wirklich zählt. Ich musste erst Abstand gewinnen, bevor ich bemerkt habe, wie sehr mir das alles fehlt.«
    Sie schaute mich an. »Meinst du Patrick?«
    »Unter anderem.«
    Sie betrachtete mich schweigend, während es um uns lauter wurde. »Emma, er ist völlig hin und weg von dir. Wenn du ihm das Herz brichst, bringe ich dich um.« Jetzt lächelte sie.
    Federleichte Luftblasen blubberten in meinem Inneren. »Ehrlich? Hin und weg?«
    »Ich will dich nicht umbringen müssen.«
    »Das brauchst du auch nicht. Ich werde lieb sein.«
    Bald darauf kam ihre Freundin, und ich lehnte mich zurück. Dann waren fast alle Plätze besetzt. Stimmengewirr, es lag gespannte Erwartung in der Luft. Ich schloss eine Sekunde die Augen und erinnerte mich an meine vielen Auftritte in ganz Europa. Dann öffnete ich sie wieder. Die Traurigkeit ging schnell vorbei.
    Da sah ich Minas Vater. Er war eingetroffen, kurz bevor die Türen geschlossen wurden, und stolperte unbeholfen zu seinem Platz, wobei er anderen Leuten auf die Füße trat. Endlich hatte er ihn gefunden, vier Reihen hinter mir. Er setzte sich steif hin, die Hände auf den Knien. Ich schaute zu ihm hinauf, doch er bemerkte mich nicht. Dann wurde es dunkel, die Scheinwerfer gingen an, das Publikum tobte, und die Vorstellung begann.
    Das erste Stück war eine Katastrophe. Die jüngsten Kinder waren vollkommen verschreckt und fingen erst beim achten Takt an zu tanzen, so dass sie für den Rest des Stücks nicht mehr synchron waren. Doch sie waren glücklich und mit Begeisterung dabei, das Publikum jubelte ihnen zu, als hätten sie jeden Takt getroffen. Beim zweiten Stück lief es schon glatter. Es war eine alte Musicalmelodie, und die Kinder waren so fest entschlossen, es richtig zu machen, dass der Boden unter ihren stampfenden Füßen bebte.
    Ich saß entspannt da, genoss die Vorstellung und das warme Gefühl von Gemeinschaft. Das hier war ein großes Geschenk.
    Mina kam zuletzt. Die Musik setzte ein, und sechs Kinder in Weiß betraten die Bühne und bildeten einen Halbkreis. Dann schritt Mina wie eine Königin mit ihrem Diadem in die Mitte und strahlte. Sie war wunderschön, wie aus Sternenlicht gemacht. Sie hob die Arme … und es ging los. Jeder Takt stimmte, jede Bewegung der Arme war voller Sorgfalt und Energie. Ihre Vorstellung begeisterte mich so sehr, dass ich beinahe vergaß, ihren Vater anzusehen. Bei den letzten Takten des Stückes schaute ich zu ihm hin. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
     
    Als die Vorstellung zu Ende war, verschwand Monica mit ihrer Freundin; sie würde das Wochenende bei ihr in Hobart verbringen. Ich wartete auf Patrick, der sich zusammen mit Marlon von den aufgeregten Familien verabschiedete und den Abbau der Licht- und Tonanlage überwachte.
    »Es tut mir leid«, sagte Patrick, als das letzte Stück Ausrüstung auf den Laster geladen worden war. »Du kommst spät nach Hause.«
    »Das macht mir nichts aus. Dort wartet keiner auf mich.«
    Er lächelte mich an. »Du hast Minas Dad überredet, heute Abend zu kommen.«
    »Ich weiß.«
    »Ich hätte die Sache einfach auf sich beruhen lassen, aber du konntest das nicht. Und hattest recht damit.«
    »Wenigstens einmal.«
    »Komm, lass uns nach Hause fahren.«
    Es war eine milde, kühle Nacht, der Fluss glitzerte im Sternenlicht. Im Wagen war es dunkel bis auf die Lichter des Armaturenbretts, die sich auf Patricks Haut spiegelten. Das Radio war zu leise, um es zu hören. Wir sprachen über den Auftritt und verfielen dann wieder in langes Schweigen. Es gab nur die weiten Felder, die markanten Silhouetten der abgestorbenen Bäume, den klaren, sternenübersäten Himmel, die magische Dunkelheit und uns.
    Patrick bog in die Einfahrt, ließ aber den Motor laufen. Ich würde ihn schon fragen müssen.
    »Willst du mit reinkommen?«
    »Möchtest du das wirklich?«
    Zum Glück war es dunkel, so
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